Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Preissteigerungen aus. Damit
war diese Strategie aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zum Scheitern verurteilt. Zwar kann auf diese Weise die Kaufkraft der
Beschäftigten teilweise stabilisiert werden. Das gilt jedoch nicht für die Kaufkraft der Arbeitslosen oder Rentner – also
all jener, deren Einkommen nicht von Tarifverhandlungen abhängt.
Trotz aller gewerkschaftlichen Bemühungen ist das Ergebnis dann genau jener Nachfrageeinbruch, der eigentlich vermieden werden
sollte. Schlimmer noch, das Wechselspiel von Preis-, Lohn- und wieder Preiserhöhungen löst nichts anderes als Inflation aus.
Das aber muss zu einer Intervention der Zentralbank führen, die für die Wahrung der Preisstabilität verantwortlich ist. Sie
wird so lange die Zinsen erhöhen, bis sich die wirtschaftliche Aktivität so abschwächt, dass die Gewerkschaften bei steigender
Arbeitslosigkeit über nicht mehr genügend Verhandlungsmacht verfügen, um ihre Forderungen |72| nach immer höheren Löhnen durchzusetzen. Der Preisauftrieb beruhigt sich dann zwar wieder. Aber die Produktion ist niedriger
und die Arbeitslosigkeit höher als vor dem Angebotsschock.
In dieser misslichen Situation befanden sich die deutschen und andere Volkswirtschaften Mitte der 1970er und Anfang der 1980er
Jahre. Damals wurde nicht nur die Macht der Gewerkschaften spürbar geschwächt, sondern auch eine Generation von Ökonomen intellektuell
traumatisiert. Sie vermuten seither hinter jedem auch nur leicht beschleunigten Lohnanstieg den Beginn einer Inflationstendenz.
Entsprechend panisch und hysterisch fällt ihre Reaktion aus. Ich halte das für besonders gefährlich, wenn diese Ökonomen Zentralbanker
sind, die mit ihren zinspolitischen Entscheidungen die wirtschaftliche Aktivität nachhaltig beeinflussen können. Seither ist
der Typ »Konservativer Zentralbankchef« angesagt, der schon auf leicht erhöhte Lohnforderungen sehr sensibel mit der Ankündigung
höherer Zinsen reagiert. Das führt in der Tendenz zu relativ hohen Zinsen und relativ geringen Lohnsteigerungen. Dieser Kurs
der Zentralbanken, der sowohl von der Bundesbank als auch von deren faktischer Nachfolgerin, der Europäischen Zentralbank,
verfolgt wurde, ist damit einer der wesentlichen Gründe für die Entfaltung der Ungleichheit. Aber was bleibt dann zu tun?
Im Falle eines Angebotsschocks sind also weder Lohnsenkungen noch Lohnerhöhungen empfehlenswert. Lohnstarrheit ist die optimale
Reaktion. Dann besteht weder die Gefahr, dass eine Preis-Lohn-Spirale Inflation auslöst, noch ist ein dramatischer Nachfrageeinbruch
aufgrund massiv sinkender Realeinkommen zu erwarten. Gleichwohl wird die Nachfrage unter Druck geraten, denn die Realeinkommen
werden auch bei starren Löhnen sinken. An diesem Punkt zeigt sich der Wohlstandsverlust. Die erhöhte Rechnung muss schließlich
bezahlt werden; in diesem Fall von den Kunden. Aber gerade wenn die Löhne nicht reagieren und auch keine Anzeichen hierfür
erkennbar sind, kann zum Beispiel die Geldpolitik über Zinssenkungen versuchen, die Nachfrageschwäche zu kompensieren.
All diese Überlegungen zeigen in eine Richtung: Soziale Risiken, |73| die ja die Gesamtwirtschaft und nicht nur einzelne Unternehmen vor zum Teil schwierige Herausforderungen stellen, können nicht
mit den gängigen Lehrbuchweisheiten bewältigt werden. Diese Modelle sind viel zu sehr auf einzelwirtschaftliches Verhalten
ausgerichtet und daher für die Lösung gesamtwirtschaftlicher Probleme ungeeignet. Vor allem aber erzeugen sie eine immer größere
Ungleichheit in der Gesellschaft. Das ist zwar aus der Sicht dieser Theorien erwünscht, hat aber, wie wir noch sehen werden,
gravierende Folgen für die Stabilität der Marktwirtschaft – und das sowohl aus nationaler als auch aus globaler Sicht. Eine
Volkswirtschaft, die sich zur Beute des Reichtums macht, ist nicht erfolgreich.
Die falsche und allzu lässige Sichtweise von Ungleichheit ist ein gravierender Fehler der Wirtschaftspolitik, wie wir sie
seit einem Jahrzehnt erleben. Es gibt aber ein weiteres wichtiges Phänomen, das die Wirtschaftspolitik und die ökonomische
Wissenschaft neben der Ungleichheit noch übersehen haben. Das ist die Unsicherheit, die Märkten eigen ist.
Die vergessene Größe: Unsicherheit
Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Illusion von wohlfunktionierenden Märkten brutal zerstört. Sie hat darüber
hinaus die Illusion der ökonomischen
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