Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Warum sollten die anderen Volkswirtschaften
auf den gleichen Schock anders agieren? Etwa, weil ökonomische Weisheit dort nicht so verbreitet ist wie in Deutschland? Dies
wäre, vorsichtig formuliert, zumindest eine riskante Annahme.
Es ist wohl doch eher so, dass alle Volkswirtschaften ähnlich agieren. Gilt dann auch der Umkehrschluss: Die anderen Volkswirtschaften
reagieren mit Lohndumping auf die ökonomische Schwäche, und Deutschland muss sich durch die gleiche Strategie vor dem Verlust
der Wettbewerbsfähigkeit schützen? Dann aber stellt sich als Ergebnis nur ein allgemeiner Lohn- und Preisverfall ein, während
sich der Absatz aufgrund der nahezu unveränderten Realeinkommen kaum ändern dürfte. Die Nachfrageschwäche bliebe also bestehen,
während gleichzeitig, als Folge der fallenden Löhne und Preise, die Deflationsgefahr stiege. Und diese ist in der Regel mit
einer tiefen und zähen Wirtschaftskrise verbunden. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass die anderen
Volkswirtschaften |70| gerade nicht so reagiert haben. Schließlich waren die Lohnzuwächse fast überall höher als in Deutschland. Bleibt die Erkenntnis:
Durch Anwendung der Lehrbuchweisheiten wird im Falle eines globalen Nachfrageschocks nichts gewonnen, aber viel riskiert.
Auch im Fall eines Angebotsschocks helfen die gängigen Rezepte nur bedingt weiter. Angenommen, die Ölpreise stiegen deutlich
an und die Unternehmen gerieten unter massiven Kostendruck. Das ist für eine Volkswirtschaft in der Tat eine sehr unangenehme
Lage. Teurere importierte Rohstoffe bedeuten ja, dass es zu einem Transfer von Wohlstand weg aus der eigenen Volkswirtschaft
hin zu den Rohstoffe exportierenden Ländern kommt. Wie das aussieht, lässt sich am sagenhaften Reichtum der Golfstaaten oder
an den markanten Fortschritten der russischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren beobachten. Das ist die positive Seite
des Transfers. Die negative findet sich in den Industriestaaten, wo man die erhöhten Rohstoffrechnungen bezahlen muss. Wie
gut diese Volkswirtschaften eine solche Reaktion verkraften, hängt schon davon ab, wer innerhalb der Volkswirtschaft letztendlich
die Rechnung zu bezahlen hat. Und das kann man genau nachverfolgen.
Zuerst fallen die Rechnungen bei den die Rohstoffe importierenden Unternehmen an. Ihnen drohen deswegen sinkende Gewinne.
Also versuchen sie die Preise zu erhöhen, um die Rechnung mehr oder minder elegant an ihre Kunden weiterzureichen. Dies wird
umso besser gelingen, je weniger die Kunden auf andere Produkte ausweichen oder ganz auf den Kauf verzichten können. Alle
brauchen Rohstoffe – der Spielraum der Kunden ist angesichts dessen und mit Blick auf die Energieabhängigkeit der Industrieländer
eng begrenzt. Das gilt auch für Deutschland. Daher gelingt es den Unternehmen in der Regel, über Preiserhöhungen die Rechnung
weitgehend auf die Kunden zu übertragen. Es überrascht also nicht, dass jede Teuerungswelle bei den Rohstoffen sich letztlich
in einem beschleunigten Preisanstieg bei fast allen Konsumprodukten niederschlägt. Aber was kann man angesichts dieser »hard
facts« überhaupt tun?
Eine optimale Reaktion besteht gerade nicht darin, dass Löhne |71| gesenkt werden und der Druck auf Arbeitslose erhöht wird. Zum einen gibt es hierfür keinen Grund. Schließlich gelingt es den
Unternehmen ja meistens, sich durch die Preiserhöhungen schadlos zu halten. In diesem Fall stehen die Gewinne nicht unter
Druck und Befürchtungen über einen Produktions- und Beschäftigungsabbau sind unbegründet. Zum anderen würden niedrigere Löhne
die realen Einkommen der Beschäftigten merklich senken. Die Einkommen gerieten in eine Zange aus höheren Preisen und niedrigeren
Löhnen, was die Kaufkraft spürbar schrumpfen lassen würde. In der Folge wäre ein Einbruch der Nachfrage unvermeidlich. Und
dann würden Produktion und Beschäftigung zurückgehen. Das wäre also der falsche Weg.
Aber auch das Gegenteil hätte negative Folgen. So wurde von gewerkschaftlicher Seite noch in den 1970er und 1980er Jahren
häufig argumentiert, dass, um einen Nachfrageeinbruch zu vermeiden, auch die Löhne entsprechend dem Preisanstieg höher sein
müssten. Also erhöhten sie damals ihre Lohnforderungen dementsprechend und setzen sie auch oft durch. Das Ergebnis war auch
aus gewerkschaftlicher Sicht unbefriedigend. Die Lohnsteigerungen lösten eine neue Welle von
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