Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
befasst. Die relativ gleich gerichtete Tendenz
zwischen Primäreinkommen und verfügbaren Einkommen zeigt, dass die Ursachen der Ungleichheit sich schon am Markt herausgebildet
haben müssen. Blickt man nun auf die Verteilung der Bruttolöhne, |61| wird dies überaus deutlich. Um diese Verteilung aufzuzeigen, ordnet man die Bruttolöhne nach ihrer Höhe in Dezile, also in
Abständen von 10 Prozent; zuerst die höchsten 10 Prozent Einkommen und dann fortlaufend bis zu den niedrigsten 10 Prozent.
Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel Vergleiche zwischen der Entwicklung jener Bruttolöhne, die zu den 20 Prozent höchsten
gehören, und jenen ziehen, die zu den 10 Prozent niedrigsten zählen.
Anhand dieses Vergleichs der Lohnspreizung lässt sich der Abstand zwischen sehr hohen und den niedrigsten Löhnen ermitteln. 11* Um festzustellen, ob die Lücke sich nur zwischen hohen und niedrigen Löhnen öffnet, weil die hohen so exorbitant steigen, oder ob die niedrigen Löhne auch gegenüber den mittleren zurückfallen,
wird dann auch der Abstand zwischen dem mittleren und dem untersten Dezil ausgewiesen. Die Abbildungen 4a und 4b zeigen die
Entwicklung.
Der deutsche Weg: besonders ungerecht?
Es zeigt sich nun, dass Deutschland im Hinblick auf eine ungleiche Lohnentwicklung in den letzten Jahren eine besondere Rolle
gespielt hat. Die Lohnspreizung ist hier mittlerweile auch im internationalen Vergleich relativ stark ausgeprägt. Das steht
in einem deutlichen Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung und konterkariert vor allem genau gegensätzliche, immer wieder gerne
von Ökonomen aufgestellte Behauptungen. Die Abbildung 4a zeigt es ganz klar: In Deutschland hat sich neben den USA seit 1990
der höchste Abstand zwischen hohen und niedrigen Löhnen ergeben. Im Unterschied zu den USA und allen anderen Ländern ist aber
in Deutschland zusätzlich noch der Abstand zwischen mittleren und unteren Löhnen seit Ende der 1990er Jahre ebenfalls dramatisch
gestiegen, wie Abbildung |62| 4b zeigt. Für die USA, und mit einigem Abstand auch für Großbritannien, kann man davon sprechen, dass die Gehälter von Gutverdienern
von der allgemeinen Einkommensentwicklung aus betrachtet nach oben »ausgebrochen« sind. In Deutschland wurden zusätzlich noch
die Niedrigverdiener von der allgemeinen Einkommensentwicklung »abgehängt«. Das Fazit, das sich daraus ziehen lässt: Deutschland
ist zum Mutterland der Ungleichheit geworden.
Die klaffenden Abstände und vor allem deren Verlauf sprechen dafür, dass die stärkere Orientierung an Finanzmarktkriterien
zum Explodieren der hohen Verdienste beigetragen hat. Ferner sagt auch das Zurückbleiben der unteren Löhne und Einkommen in
Deutschland seit Ende der 1990er Jahre etwas aus. Offenbar waren die Sozialreformen seit jener Zeit vor allem im Zuge der
Agenda 2010 so gestaltet, dass der Druck der Märkte im Niedriglohnbereich voll zum Tragen kam. Mittlerweile gibt es eine breite
wissenschaftliche Literatur, in der die Rolle von Arbeitsmarktinstitutionen und gesellschaftlichen Normen für die Ungleichheit
von Löhnen und Einkommen betont wird. 23
Dass eine solche Spreizung nicht zwangsläufig ist, zeigt erneut das Beispiel Frankreich, wo nichts dergleichen zu beobachten
ist. Weder haben sich die oberen Löhne vom allgemeinen Trend besonders weit nach oben entfernt, noch sind die unteren weit
dahinter zurückgeblieben. Im Gegenteil, die Zahlen für Frankreich deuten eine Tendenz zu mehr Gleichheit an. Allerdings weist
Frankreich damit eine auch im internationalen Vergleich besondere Entwicklung auf. Deutschland und Frankreich haben sich ganz
offensichtlich in entgegengesetzten Richtungen vom allgemeinen Trend in den OECD-Staaten entfernt – mehr Ungleichheit in Deutschland
und mehr Gleichheit in Frankreich. Man muss also für Deutschland das niederschmetternde Fazit ziehen, dass hier – bewusst
oder unbewusst – eine Politik für den Reichtum betrieben wurde.
All das veränderte die Gesellschaft. So zeigten 2008 erste Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
(DIW), dass sich die Gesellschaft im Hinblick auf die verfügbaren Einkommen |63| mehr und mehr polarisierte. 24 Die Oberschicht der Einkommensbezieher vermochte nicht nur ihre Kaufkraft seit 1996 (und beschleunigt seit 2000) zu steigern,
sondern sie ist auch größer geworden. Es gab also für einige durchaus den Aufstieg in die Gruppe der Gutverdiener, die
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