Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Wissenschaft platzen lassen, sie wüsste im Kern über das Wirtschaftsgeschehen Bescheid.
Geplatzt ist vor allem die Illusion, Märkte seien jederzeit stabil und effizient. Man hätte das alles zwar schon nach der
großen Depression Ende der 1920er Jahre wissen können, doch man hatte es im Laufe der Zeit schlicht vergessen – gab es doch
die stabilen Aufschwünge nach dem Zweiten Weltkrieg und die dynamische Integration vieler heranwachsender Volkswirtschaften
wie Korea, Taiwan, China, Indien, Brasilien, Russland und, nicht zu vergessen, der vielen kleineren Staaten in Osteuropa.
Marktwirtschaftliche Systeme breiteten sich nicht nur immer weiter |74| aus, sondern sie wurden auch intensiviert. Immer mehr Bereiche des Wirtschaftslebens wurden marktwirtschaftlich organisiert.
Der Staat zog sich in vielen Volkswirtschaften als Eigentümer und auch als Regulator aus einigen Bereichen der Wirtschaft
zurück. In diesem Zusammenhang sind die zahlreichen Privatisierungen zum Beispiel von Versorgungsleistungen und die Deregulierung
der Finanzmärkte zu sehen. Und der Erfolg gab all jenen Recht, die diese Entwicklungen befürworteten. Im Prinzip ging es,
unterbrochen von allenfalls kurzen Krisen, für die meisten Volkswirtschaften insgesamt ständig aufwärts. Der Wohlstand der
Welt wuchs. Warum also hätte man einem anscheinend so erfolgreichen System misstrauen sollen?
Keynes? Da war doch was!
Es gab oberflächlich betrachtet ja auch keinen Grund dafür. Die neuere ökonomische Wissenschaft, die es am ehesten hätte besser
wissen müssen, ließ denn auch keinen Raum für Zweifel. Man hatte einfach vergessen, dass es einen Ökonomen mit Namen John
Maynard Keynes und sein epochales Werk der
Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes
gegeben hatte. In diesem Buch hatte Keynes die Große Depression wissenschaftlich aufgearbeitet – er hatte sich also mit genau
dieser Art von Instabilitäten des Marktsystems auseinandergesetzt. Und dabei spielt der Begriff der Unsicherheit eine fundamentale
Rolle. Aber das hatten selbst jene vergessen, die sich, Keynes intellektuell verbunden, als Keynesianer bezeichneten und die
schon deshalb als Randfiguren der ökonomischen Wissenschaft angesehen wurden. Auch sie sahen marktwirtschaftliche Systeme
zwar als nicht immer perfekt funktionierend, aber im Grunde doch als stabil an. Welch ein Irrtum! Auch ich habe mich gefragt:
Wie konnte das geschehen und wie sehen die intellektuellen Grundlagen dieser Irrtümer aus?
Die üblichen ökonomischen Modelle der vergangenen Jahrzehnte schienen das Phänomen »Unsicherheit« durchaus ernst zu nehmen. |75| Gerade die Gegenrevolution gegen den Keynesianismus Mitte der 1970er Jahre begründete die Überlegenheit ihrer Ansätze unter
anderem mit dem Argument, dass darin Zukunftserwartungen, welche ja zwangsläufig mit Unsicherheiten behaftet sind, eine zentrale
Rolle spielen. Sie hob sich damit von einem Keynesianismus ab, der in der Tat zu einer Art ökonomischer Mechanik verkommen
war. Ein Keynesianer schien damals genau zu wissen, dass, wenn man eine ökonomische Größe um x Prozent erhöht, eine andere
um y Prozent zunimmt. Gerade dieses mechanische Denken wurde von den aufkommenden Theorien der Neuklassik zu Recht kritisiert.
Stattdessen argumentierte man, dass die wirtschaftlich Handelnden sich bei ihren Entscheidungen auch von ihren Erwartungen
über die Zukunft leiten lassen. Sie würden so handeln, dass jede ihrer Entscheidungen in der Gegenwart unter Berücksichtigung
dessen, was sie für die Zukunft erwarten, optimal für ihre Gewinne oder ihren Nutzen ist. Klingt logisch.
Erwartungen spielen angesichts mannigfaltiger wirtschaftlicher Entscheidungen, die mit Unsicherheit verbunden sind, eine wichtige
Rolle; das dürfte mittlerweile unumstritten sein. So werden Investitionen der Unternehmen allein mit Blick auf künftige unsicherere
Gewinne getätigt, müssen aber in der Gegenwart finanziert werden. Zwangsläufig spielen daher Erwartungen der Unternehmen eine
große Rolle, sie müssen entscheiden, ob und wie viel sie investieren. Das Gleiche gilt für Investitionsentscheidungen des
Staates oder beim Kauf dauerhafter Konsumgüter in den privaten Haushalten. Die entscheidenden Fragen für die gesamtwirtschaftliche
Analyse lauten: Wie werden diese Erwartungen gebildet und wie geht man mit Unsicherheit um?
Die Unsicherheit in den gängigen Modellen würde ich
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