Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Politik in den USA riss der Geduldsfaden. Sie wollte nach
den mühsamen Einzelfallbetrachtungen endlich eine systematische Antwort auf die Krise im Finanzsystem, die dem allgemeinen
Gerechtigkeitsempfinden entsprach. Der Beifall gab dem amerikanischen Finanzminister zunächst Recht. Aber er währte nur kurz.
Denn dann zeigte sich die Kehrseite dieses Vorgehens in voller Härte. In der Industrie ist der Wegfall eines Konkurrenten
Anlass |134| zur (zumindest klammheimlichen) Freude für ein Unternehmen; schließlich besteht die Chance, dass man dessen Kunden übernehmen
kann. Die Verhältnisse im Finanzsektor sind da etwas verzwickter. Die verschiedenen Finanzinstitute sind über ein dichtes
Netzwerk von Zahlungsströmen miteinander verwoben. So werden zum Beispiel wechselseitig Kredite vergeben oder das eine Institut
garantiert Zahlungen für das andere. Der Ausfall eines Knotenpunktes in einem finanziellen Netzwerk schädigt folglich nicht
nur das ausscheidende Institut, sondern auch die am Markt verbleibenden. Das schürt das allgemeine Misstrauen sowohl was die
Solvenz als auch die Liquidität des gesamten Finanzsektors angeht. Letztlich sind damit alle geschädigt. Die Folgen gehen
wegen der Belastung der gesamten Kreditvergabe sogar weit über den eigentlichen Finanzsektor hinaus – es trifft auch die übrige
Wirtschaft.
Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach Verantwortung und Haftung wesentlich komplexer. Lässt man das Marktgeschehen einfach
so laufen, schädigt das eben nicht nur die Verantwortlichen, sondern auch diejenigen, die nichts zum Entstehen der Krise beigetragen
haben, also unschuldig sind. Das gilt für den Facharbeiter in der Automobilindustrie ebenso wie für den mittelständischen
Unternehmer in einem Zulieferbetrieb für diesen Wirtschaftszweig. Mit einer Fortsetzung der Lehman-Strategie wäre somit die
gesamte Wirtschaft massiv geschädigt worden. Daher gab es gute Gründe für die Wirtschaftspolitik, nach Lehman angeschlagene
Banken zu stützen.
Aber der Preis dafür ist hoch. Der Preis für diese Politik besteht in mehr als nur den Milliardenbeträgen, die für die Rettung
des Finanzsektors eingesetzt wurden. Er besteht auch in der schreienden Ungerechtigkeit, dass jene, die die globale Wirtschaft
durch ihr verantwortungsloses Handeln an den Rand des Abgrund manövriert und auf diese Weise horrende Gewinne erzielt haben,
nicht für die Risiken ihres Handelns aufkommen müssen. Sie lassen sich wie zum Hohn nicht zuletzt von denen retten, deren
Einkommen aufgrund der Fokussierung auf den Finanzmarkt in den Vorkrisenjahren gedrückt worden war. Die Opfer müssen also
auch noch für die Schäden |135| der Täter aufkommen. Das ist ein Skandal, aber, wie ich finde, ein unvermeidlicher Skandal. Ansonsten wären die Schäden bei
den Unschuldigen noch höher ausgefallen. Aber diese Ungerechtigkeit sollte als Hypothek für den Finanzsektor verstanden werden,
die es noch abzutragen gilt.
Rettet die Banken!
Es war also nur zu verständlich, dass nach der Pleite der Lehman-Bank und angesichts der großen Panik, die ausbrach, gewaltige
Rettungspakete für den Bankensektor verabschiedet wurden. Es durfte nicht einmal der Eindruck entstehen, dass die Banken an
Liquiditätsmangel zugrunde gehen würden. Das hätte leicht einen Run auf die Banken auslösen können, und so etwas kann schnell
das Ende bedeuten. Die Strategie beschränkte sich ausdrücklich nur auf Banken, die systemrelevant waren. Deren Ausfall würde
das gesamte Finanzsystem massiv schädigen. 1* Kleinere, weniger bedeutende Banken konnten nicht auf Unterstützung hoffen.
Als Teil der Rettungsstrategie senkten die großen Zentralbanken die Leitzinsen. Sie wollten so die Refinanzierung aller Banken
verbilligen und ihnen auf diese Weise bessere Chancen geben, wieder profitable Geschäfte zu machen. Gleichzeitig wurde den
Banken für eine begrenzte Zeit zusätzlich von den Zentralbanken verbilligte Liquidität zu Verfügung gestellt., mit der sie
die Aufnahme teurer Kredite auf dem Interbankenmarkt vermeiden konnten. Aber auch die Regierungen blieben nicht untätig. Sie
übernahmen Bürgschaften und gewährten direkte Hilfen. In Deutschland allein belief sich die Höhe des Rettungspakets auf insgesamt
etwa 480 Milliarden Euro – ein unvorstellbar hoher Betrag. Der höchste Anteil bestand allerdings aus Bürgschaften, von denen
man hoffte, dass sie nie in Anspruch |136|
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