Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
immer mehr Finanzanleger und vor allem Banken unter
Druck, zumindest in ihren Handelsbüchern, in denen ihre kurzfristigen Anlagen bilanziert werden, erhebliche Abschreibungen
vorzunehmen.
Dass sich dieser Druck so schnell entwickeln konnte, lag nicht zuletzt daran, dass die Banken aufgrund der international gültigen
Regulierungsvorschriften auf der Basis des Basler Abkommens gezwungen sind, sehr marktnah zu bilanzieren. Das heißt, sie müssen
die Wertpapiere, mit denen sie kurzfristig Geschäfte tätigen wollen, in enger Anlehnung an den jeweils aktuellen Marktpreis
in ihre Bilanz einstellen. Das erzeugt erhebliche sich selbst verstärkende Verhaltensweisen. |132| Sinkt der Kurs, müssen schnell Wertberichtigungen nach unten vorgenommen werden. Das belastet die Bankbilanz. Das Vertrauen
sowohl in die Bank als auch in die Wertpapiere sinkt. Das Ergebnis wird in der Regel ein weiterer Kursrutsch sein, mit weiter
wachsendem Misstrauen und Panik.
Genau dieser Prozess lief im Laufe des Jahres 2008 ab, wie sich an den immer höheren Zinsen auf dem Interbankenmarkt ablesen
lässt. Das bedeutete auch, dass die Banken täglich Unmengen von Geld verbrannten, also Verluste anhäuften. Aufgrund der allgemeinen
Panik konnten sie nur noch zu relativ hohen Zinsen Geld am Kapitalmarkt aufnehmen, während sie es nur noch zu sehr niedrigen
Zinsen ausleihen konnten. Die Nachfrage nach neuen Krediten bricht in einer solchen mit Panik aufgeladenen Lage rasch ein.
Das musste vor allem jene Finanzinstitute in höchste Gefahr bringen, deren Geschäftsmodell darauf beruhte, sich kurzfristig
zu möglichst niedrigen Zinsen Geld am Kapitalmarkt zu leihen und es langfristig zu deutlich höheren wieder zu verleihen. Aus
der Zinsspanne generieren sie dann ihre Gewinne. Genau dies ging nun nicht mehr; im Gegenteil, es entstanden Verluste. Es
war daher nur noch eine Frage der Zeit, bis die erste Bank am Abgrund stand.
Lehman und die Folgen
Es traf dann im September 2008 das amerikanische Bankhaus Lehman Brothers. Schon vorher hatte es sowohl in den USA als auch
in Deutschland mit der IKB und der Sächsischen Landesbank dramatische Schieflagen gegeben. Das hatte man aber noch eher als
Einzelfälle gesehen – da wurde wohl einfach schlecht gewirtschaftet. Im Fall von Bear Stearns in den USA war das Ganze möglicherweise
auch das Ergebnis gezielter spekulativer Attacken in Kombination mit üblen Gerüchten – wer wusste das schon so genau? Als
es immer mehr Banken und andere Finanzinstitute traf, wurde deutlich, dass man nicht mehr von Einzelfällen sprechen konnte.
Spätestens seit |133| September 2008 war es nicht mehr zu übersehen: Es ging nicht mehr um Einzelfälle, es ging um eine Systemkrise. Im Augenblick
dieser Erkenntnis stand die Wirtschaftspolitik in allen betroffenen Ländern vor der Grundsatzfrage: Müssen alle Banken in
einer Systemkrise vom Staat gerettet werden, oder soll sich der Staat heraushalten, um eine Marktbereinigung zu ermöglichen,
damit genau jene haften, die die Krise durch ihr Verhalten ausgelöst haben?
Über die richtige Antwort auf diese Frage wird man wohl bis zum Jüngsten Tag streiten. Und ich weiß, dass sie nicht einfach
zu beantworten ist. Auf der einen Seite hat die tägliche Praxis im Finanzsektor, bewusst oder unbewusst hohe Risiken einzugehen,
die Finanzkrise ausgelöst. Will man diesen pathologischen Appetit auf Risiken auf absehbare Zeit dämpfen, müssen die Verantwortlichen
für die Krise haften. Das heißt, sie müssen im Extremfall den Verlust ihres Unternehmens mit allen schrecklichen Folgen hinnehmen.
Diese Marktbereinigung bestraft diejenigen am härtesten, die die höchsten Risiken eingegangen sind, und belohnt jene, die
sich zurückgehalten haben. Sie haben bessere Chancen zu überleben und könnten dann sogar die Geschäfte der Bankrott gegangenen
Konkurrenz übernehmen. So entsteht ein neues und solideres Fundament eines geläuterten Finanzmarktes. In diesem Prozess der
Läuterung würden Vermögen umverteilt. Es würde einfach weniger Reichtum geben, der durch besonders riskante Anlagen entsteht
– auch das wäre doch ein Beitrag zur Gerechtigkeit, oder? Diese Haltung war und ist weit verbreitet. Sie hat zahlreiche Anhänger
unter den »normalen« Menschen und auch in der Wissenschaft. Es erscheint uns attraktiv, die Welt ein wenig gerechter zu machen.
Diese Haltung überwog denn auch im Fall der Lehman Brothers. Der
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