Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Rettungsmaßnahmen drückte sich im Herbst
2008 in den relativ rasch sinkenden Risikoaufschlägen auf dem Interbankenmarkt aus, wie Abbildung 14 zeigt. Das niedrige Vorkriseniveau
wurde zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht annähernd erreicht.
Eines war deutlich geworden: Der Markt war nicht mehr in der Lage, die Unsicherheiten des Finanzsektors selbsttätig zu bewältigen.
Das konnte nur noch durch die Gemeinschaft der Steuerzahler, also den Staat geschehen. Der Finanzmarkt erwies sich als in
sich instabil – eine für die Mehrheit der Ökonomen sehr beunruhigende Erkenntnis. Sie widerspricht fundamental den Lehren
der Vorkrisenzeit.
Es gab außerdem noch etwas anderes, das eigentlich auch einen Grund zur Unruhe geliefert hätte: die Erkenntnis, dass die massive
Ungleichheit der Einkommen und Vermögen ein Marktsystem destabilisieren kann. Die Ballung von Reichtum ist also mit hohen
finanziellen Risiken für den Staat verbunden. Das muss Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik haben, und das ist nicht so
einfach. Wir müssen uns nur die bittere Ironie der Rettungsmaßnahmen in Erinnerung rufen: Indem sie das Finanzmarktsystem
stabilisierten, retteten sie zugleich den Reichtum einiger weniger, der bei einem Zusammenbruch des Finanzsystems schwer gelitten
hätte. Der Rettungsschirm für Banken kann also schon aus diesem Grund nicht die letzte Antwort der Politik auf die Krise der
Finanzmärkte sein. Deren Wurzeln sind nach wie vor intakt.
Druck in die richtige Richtung
Die Rückkehr des Meisters
, so lautet der Titel eines Buches von Robert Skidelsky, das während der Krise erschien. Der Autor meint damit die Rückkehr
zu einem wirtschaftspolitischen Denken und Handeln, |139| das von der keynesianischen Lehre bestimmt wird. Seine kluge Voraussage erwies sich als richtig. Hatte man zuvor auf eine
Wirtschaft mit Autopilot vertraut, in der sich im Prinzip alles von alleine regelt, wurde mit jedem Tag der Krise deutlicher,
dass Regierungen und Zentralbanken direkt in die Wirtschaft eingreifen mussten, um das Schlimmste zu verhindern. Von alleine
schloss sich der Riss in der Mauer jedenfalls nicht.
Doch diesem Handeln standen zunächst die theoretischen und praktischen Überzeugungen der Ökonomen und Wirtschaftspolitiker
im Wege. Eigentlich wollten sie, gemäß ihren tiefsten Überzeugungen, ihren Kurs nicht ändern, doch am Ende mussten sie es
tun. Sie hatten ja auch keine Wahl. Da die vorherrschenden Theorien des Marktsystems keine Krisen kennen, kennen sie auch
keine Strategien dafür, wie man Krisen überwindet. Genau das liefert das keynesianische Gedankengebäude, und da man nichts
Besseres hatte, wurde es zähneknirschend hervorgeholt. Dieser intellektuelle Anpassungsprozess war jedoch für Ökonomen wie
für Wirtschaftpolitiker mühsam und quälend.
Die Grundfesten wirtschaftspolitischer Überzeugungen wackeln
Der Sachverständigenrat, der 2007 zwar die Bedeutung der Finanzkrise erkannte, aber keinen Anlass für konjunkturstabilisierende
Maßnahmen sah, vollzog in seinem Jahresgutachten 2008 ebenfalls eine Kehrtwende. Er empfahl – wenn auch etwas gequält – tatsächlich
ein Konjunkturprogramm. Einerseits versprach er sich wenig Erfolg von einem antizyklischen Konjunkturprogramm. Andererseits
forderte er eine »konjunkturgerechte Wachstumspolitik. 39 « Gemeint waren im Grunde nichts anderes als Maßnahmen, die, wie in einem klassischen Konjunkturprogramm gefordert, die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage steigern sollten. Zugleich aber sollten sie auch die Angebotsseite stärken. Damit beschränkten sich die Vorschläge
auf Steuersenkungen und die Senkung der Lohnnebenkosten.
|140| Etwas zögerlicher war die Gemeinschaftsdiagnose der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute. Sie blieben, ungeachtet
aller dramatischen Verwerfungen, ganz ihrer Vorkrisenlinie verhaftet – und quälten sich schrecklich. In ihrem Gutachten aus
dem Herbst 2008, also zu einem Zeitpunkt, als die Weltwirtschaft sich bereits in freiem Fall befand, finden sich diese bemerkenswerte
Sätze: »Vielfach wird gefordert, ein Konjunkturprogramm aufzulegen. Dies halten die Institute (…) auch aus praktischen Gründen
nicht für erfolgversprechend.« 40 Ein halbes Jahr später stoßen wir auf den etwas gewundenen Satz: »Eine expansivere Finanzpolitik ist aus Sicht der Institute
nur unter bestimmten Bedingungen vertretbar.« 41 Noch ein Jahr später berechnen die gleichen
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