Des Teufels Alternative
Langley und blätterte in dem von ihm verfaßten Bericht, der zusammen mit einem dicken Stapel Fotos auf dem Couchtisch vor ihm lag.
»Eine komische Sache, Bob«, meinte er. »Ich werde einfach nicht schlau daraus …«
Benson, der Direktor der Central Intelligence, der DCI, wandte sich von den großen Panoramafenstern ab, die sich über die ganze Wandbreite erstrecken und nach Nordnordwesten gehen, wo der Potomac unter den Bäumen vorbeifließt. Wie seine Vorgänger genoß Benson diese Aussicht – vor allem im Frühling und Frühsommer, wenn der Wald ein Meer aus zartem Grün bildet. Er ließ sich in einen Sessel gegenüber Taylor fallen.
»Meine Landwirtschaftsexperten auch nicht, Carl. Und ich habe keine Lust, mich ans Landwirtschaftsministerium zu wenden. Was auch in Rußland passiert, wir dürfen die Sache nicht an die große Glocke hängen. Wenn ich irgendwelche Außenstehenden hinzuziehe, landet das Ganze eine Woche später bei einer Zeitung. Also, was haben Sie rausgekriegt?«
»Na ja, unsere Aufnahmen zeigen, daß der Mehltau oder was immer es ist, nicht allgemein verbreitet ist«, antwortete Taylor. »Er tritt nicht einmal flächenweise auf. Das ist eben das Verrückte! Wäre das Klima daran schuld, müßten Wetterstürze aufgetreten sein. Aber die hat es nicht gegeben. Wenn es sich um eine Pflanzenkrankheit oder um Schädlingsbefall handelte, wären zumindest bestimmte Gebiete betroffen. Aber die Streuung ist rein zufällig. Schwache, verkümmerte Pflanzen wechseln mit kräftigen, kerngesunden Trieben ab. Die Condor-Aufklärung läßt keine logische Verteilung erkennen. Wie sieht’s bei Ihnen aus?«
Benson nickte zustimmend.
»Es ist tatsächlich nicht logisch. Ich habe ein paar von unseren Leuten losgeschickt, damit sie die Schäden vor Ort begutachten, aber ihre Berichte sind noch nicht da. Die sowjetische Presse läßt nichts verlauten. Meine Landwirtschaftsexperten haben sich lange mit Ihren Aufnahmen befaßt. Sie können sich die Sache nur mit einer Saatgut- oder Bodenkrankheit erklären. Aber auch sie haben keine Erklärung für die scheinbar zufällige Verteilung. Sie haben so etwas noch nie gesehen. Entscheidend ist jedoch, daß ich dem Präsidenten eine Schätzung über die für dieses Jahr zu erwartende Getreideernte vorlegen soll – und zwar bald!«
»Ich kann unmöglich jedes verdammte Weizen- und Gerstenfeld in der Sowjetunion fotografieren, selbst mit den Condors nicht«, protestierte Taylor. »Das würde Monate dauern. Habe ich soviel Zeit?«
»Auf keinen Fall!« wehrte Benson ab. »Ich brauche Informationen über die Truppenbewegungen an der chinesischen Grenze und über die Konzentrationen an den Grenzen zur Türkei und zum Iran. Außerdem ist die ständige Überwachung der Roten Armee in der DDR und der Ausbau der Stellungen für die SS 20 hinter dem Ural wichtig.«
»Unter diesen Umständen kann ich nur anhand unserer Aufnahmen Durchschnittswerte ermitteln und die auf die gesamte Sowjetunion umrechnen lassen«, sagte Taylor.
»Aber sie müssen stimmen«, betonte Benson. »Ich will keinen Reinfall wie vor fünf Jahren erleben.«
Obwohl Taylor damals noch nicht NRO-Direktor gewesen war, zuckte er bei dem Gedanken an diesen Vorfall zusammen. Im Jahre 1977 waren die amerikanischen Geheimdienste auf einen Riesenschwindel der Sowjetunion hereingefallen. Die Sachbearbeiter der CIA und des Landwirtschaftsministeriums hatten dem Präsidenten den ganzen Sommer über versichert, die sowjetische Getreideernte werde etwa 215 Millionen Tonnen betragen. Rußlandbesuchern waren prächtig wogende Weizenfelder gezeigt worden – wie sich später herausstellte, hatte es sich bei ihnen um Ausnahmen gehandelt. Luftaufnahmen waren fehlerhaft ausgewertet worden. Im Herbst hatte der damalige Parteichef Leonid Breschnew seelenruhig verkündet, die sowjetische Ernte werde sich nur auf 194 Millionen Tonnen belaufen.
Daraufhin war der Preis für amerikanischen Überschußweizen emporgeschnellt. Schließlich stand fest, daß die Russen fast 20 Millionen Tonnen Getreide würden dazukaufen müssen. Aber es war zu spät. Mit Hilfe französischer Mittelsmänner hatte Moskau bereits im Sommer Lieferverträge über die benötigten Mengen abgeschlossen – zum alten, niedrigen Preis. Durch Strohmänner hatten die Russen sogar Trockengutfrachter gechartert, die sie von ihrem Kurs auf Westeuropa in sowjetische Häfen umdirigierten. Dieser Reinfall war in Langley unter dem Codewort »Stachel«
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