Des Teufels Alternative
teilgenommen hatte, sehnte Larsen sich danach, wieder zur See zu fahren. Er war in die Hauptverwaltung gebeten worden, um von der Sekretärin des Besitzers, Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführers der Nordia Line eine Einladung zum Abendessen ausgehändigt zu bekommen. Diese Einladung galt auch für Larsens Frau, die telefonisch benachrichtigt worden war und auf Kosten der Reederei mit dem Flugzeug aus Norwegen herüberkommen sollte. Der Alte stürzt sich in Unkosten! dachte Larsen. Anscheinend hat er was Besonderes vor …
Er holte seinen Leihwagen vom Hotelparkplatz jenseits der Brücke am Nybroviken und fuhr die 37 Kilometer zum Flughafen hinaus.
Als Lisa Larsen mit ihrer Reisetasche durch den Zoll kam, begrüßte ihr Mann sie mit der Tapsigkeit eines aufgeregten Bernhardiners, schloß sie in die Arme und schwenkte sie wie ein kleines Mädchen herum. Sie war klein und zierlich und hatte dunkle, leuchtende Augen, weiche kastanienbraune Locken und eine schlanke Figur, der man ihre 38 Jahre nicht ansah. Larsen vergötterte seine Frau. Zwanzig Jahre zuvor, als er noch ein schlaksiger Zweiter Offizier gewesen war, hatten sie sich an einem eisigen Wintertag in Oslo kennengelernt. Lisa war auf der glatten Straße ausgerutscht, und er hatte sie wie eine Puppe aufgehoben und wieder auf die Füße gestellt.
Ihre mit Pelz eingefaßte Kapuze hatte ihr bis fast an die rote Nasenspitze gereicht, und als sie sich bei ihm bedankte, sah er nur ihre Augen, die ihn unter dem verschneiten Pelz an die blanken Augen einer Schneemaus in einem Winterwald erinnerten. Seit damals war sie für ihn die »Schneemaus« geblieben.
Larsen fuhr mit seiner Frau nach Stockholm zurück. Den Weg über sprachen sie von ihren beiden Kindern und dem Haus, das weit entfernt an der norwegischen Westküste in Alesund stand.
Zum Abendessen fuhren sie zu dem berühmten Aurorakeller , der in den Kellerräumen unter einem Patrizierhaus in der Stockholmer Altstadt eingerichtet worden ist. Als Thor und Lisa Larsen die schmale Treppe hinunterstiegen, wurden sie unten bereits von Leonard, dem Besitzer, erwartet.
»Herr Wennerström ist schon da«, sagte er und führte sie in eines der Nebenzimmer, eine kleine gemütliche Höhle mit einem 500 Jahre alten gemauerten Kreuzgewölbe und einem schimmernden schweren alten Holztisch, auf dem Kerzen in schmiedeeisernen Leuchtern brannten. Als sie hereinkamen, stand Harald Wennerström, Larsens Reeder, schwerfällig auf, umarmte Lisa und schüttelte ihrem Mann die Hand.
Harald, »Harry« Wennerström hatte es bei den Seeleuten Skandinaviens schon zu Lebzeiten zu fast legendärer Berühmtheit gebracht. Er war jetzt 75 Jahre alt, sein Haar war grau und sein Gesicht mit den buschigen Augenbrauen faltig geworden. Als er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nach jahrelangem Auslandsaufenthalt in seine Heimatstadt Stockholm zurückgekehrt war, hatte er von seinem Vater ein halbes Dutzend kleiner Frachter geerbt. In den darauffolgenden 35 Jahren hatte er die größte unabhängige Tankerflotte außerhalb Griechenlands und Hongkongs aufgebaut. Die Nordia Line war seine Schöpfung; Wennerström hatte schon Mitte der fünfziger Jahre begonnen, von Trockengutfrachtern auf Tanker umzustellen, war weitblickend genug gewesen, Schiffe für den Ölboom der sechziger Jahre bauen zu lassen, und hatte auf sein Urteilsvermögen vertraut – auch wenn er damit oft gegen den Strom gekommen war.
Beim Essen sprach Wennerström nicht übers Geschäft, sondern erkundigte sich vor allem nach Larsens Kindern. Seine eigene 40jährige Ehe war vor vier Jahren mit dem Tod seiner Frau zu Ende gegangen; sie war kinderlos geblieben. Aber wenn er einen Sohn gehabt hätte, hätte er ihn sich wie den großen Norweger gewünscht, der ihm gegenübersaß wie das Inbild eines Seemanns.
Der nach skandinavischer Art in Sole und Dill gebeizte Lachs war ausgezeichnet, und die Ente aus den Stockholmer Marschen zerging fast auf der Zunge. Erst als sie nach dem Essen beim Wein saßen – Wennerström hielt sich an Mineralwasser, weil »die verdammten Ärzte einem heutzutage nichts mehr erlauben« –, kam er zur Sache.
»Vor drei Jahren, das heißt im Jahre neunzehnhundertundneunundsiebzig, habe ich drei Prognosen gestellt, Thor. Als erstes habe ich vorhergesagt, daß die Solidarität der OPEC, der Organisation erdölexportierender Länder, das Jahr neunzehnhundertzweiundachtzig nicht überdauern würde. Als zweites habe ich prophezeit, daß der
Weitere Kostenlose Bücher