Des Teufels Alternative
lang »geführt«, bis er vom KGB entlarvt, verurteilt und hingerichtet worden war. Aber bis dahin hatte er eine reiche Ernte an Geheiminformationen eingebracht, vor allem zur Zeit der Kubakrise im Oktober 1962. In diesem Monat hatte der Westen Präsident Kennedy ungeteilte Bewunderung gezollt für seine geschickte Verhandlungstaktik in der harten Konfrontation mit Nikita Chruschtschow wegen der Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba. Die Öffentlichkeit hatte allerdings nicht gewußt, daß die Amerikaner dank Penkowski genau über die Stärken und Schwächen der Position des sowjetischen Führers im Bilde waren.
Als alles vorbei war, gab es keine sowjetische Rakete mehr auf Kuba, Chruschtschow war gedemütigt, Kennedy ein Held und Penkowski unter Verdacht. Er wurde im November festgenommen. Innerhalb eines Jahres, nach einem Schauprozeß, war er tot. Ebenfalls innerhalb eines Jahres war Chruschtschow von seinen eigenen Kollegen gestürzt worden – vorgeblich wegen seines Versagens in der Getreidepolitik, in Wirklichkeit wegen seines Abenteuersums, das ihnen Angst machte. Und im selben Winter, 1963, starb auch Kennedy, nur 13 Monate nach seinem Triumph. Der Demokrat, der Despot und der Spion waren von der Weltbühne abgetreten. Aber selbst Penkowski, der so entscheidende Vorgänge ausgelöst hatte, war nie bis ins Politbüro vorgedrungen.
Munro nahm die Tonbandspule vom Abnahmegerät und packte sie sorgfältig wieder ein. Professor Jakowlews Stimme kannte er natürlich nicht, und sein Bericht nahm den größten Teil des Tonbands ein. Aber in der anschließenden Diskussion hatten zehn Stimmen gesprochen, von denen sich mindestens drei identifizieren ließen. Rudins polternder Baß war nur allzu vertraut; Wischnajews helle Stimme hatte Munro bei Fernsehübertragungen von Parteikongressen gehört und Marschall Kerenskis bellenden Ton kannte er von Maiparaden.
Er wußte, daß er das Tonband nach London bringen mußte, damit dort eine Stimmenanalyse vorgenommen werden konnte. Aber das stellte ihn vor das Problem, seine Herkunft angeben zu müssen. Er war sich darüber im klaren, daß es heißen würde: »Warum Sie, Munro? Wie ist sie auf Sie gekommen?«, falls er das heimliche Treffen im Wald so schilderte, wie es gewesen war. Dieser Frage konnte er unmöglich ausweichen, aber es war ebenso unmöglich, sie zu beantworten. Die einzige Lösung bestand darin, eine glaubwürdige und nicht überprüfbare andere Quelle zu erfinden.
Munro war erst seit sechs Wochen in Moskau, aber seine perfekten Russischkenntnisse, von denen niemand etwas ahnte, hatten sich schon mehrmals bezahlt gemacht. Vor vierzehn Tagen hatte er sich auf einem Empfang der Tschechoslowakischen Botschaft mit einem indischen Attaché unterhalten, als er auf ein halblaut geführtes Gespräch zwischen zwei Russen hinter sich aufmerksam wurde. »Der Schweinehund ist richtig verbittert«, hatte einer der beiden gesagt. »Glaubt, er hätte Abteilungsleiter werden müssen.«
Munro hatte die Blickrichtung der beiden verfolgt und festgestellt, daß sie offenbar über einen Russen auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes sprachen. Anhand der Gästeliste ließ sich feststellen, daß dieser Mann Anatoli Kriwoi war, die rechte Hand des Parteitheoretikers Wischnajew. Worüber konnte er wohl so verbittert sein? Munro suchte in seinen Unterlagen und fand Kriwois Lebenslauf. Er hatte in der ZK-Abteilung Parteiorganisation gearbeitet; kurz nach der Ernennung Petrows zum Abteilungsleiter war Kriwoi jedoch in Wischnajews Stab übergewechselt. Enttäuschung? Persönliche Schwierigkeiten mit Petrow? Verbittert, weil er übergangen worden war? Alle drei Möglichkeiten kamen in Frage, und alle drei waren für einen ausländischen Geheimdienstchef interessant.
Kriwoi, überlegte Munro. Vielleicht. Warum eigentlich nicht? Kriwoi mußte zumindest Zugang zu Wischnajews Wortprotokollen haben, vielleicht kam er sogar an die Tonbänder heran. Und er hielt sich zur Zeit vermutlich in Moskau auf, sein Chef war jedenfalls da. Wischnajew hatte eine Woche zuvor zum Begrüßungskomitee für den DDR-Ministerpräsidenten gehört.
»Tut mir leid, Anatoli, du bist soeben übergelaufen«, murmelte Munro, steckte den dicken Umschlag in die Innentasche seiner Jacke und lief die Treppe hinunter, um mit dem Botschaftskanzler zu sprechen.
»Ich muß leider mit dem Mittwochsack nach London«, erklärte er dem Diplomaten. »Die Sache ist wichtig und unaufschiebbar.«
Der
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