Des Teufels Alternative
aufschwamm.
»Der Bau ist am vierten November begonnen worden«, berichtete Wennerström. »Die Kiellegung war am dreißigsten Januar. Inzwischen nimmt das Schiff Formen an. Es soll am ersten November schwimmen und am zweiten Februar – nach drei Monaten am Ausrüstungskai und auf Probefahrten – in Dienst gestellt werden. Und Sie stehen dann auf der Brücke, Thor.«
»Danke«, sagte Larsen. »Welchen Namen wollen Sie dem Tanker geben?«
»Ah, ganz recht. Darüber habe ich schon nachgedacht. Erinnern Sie sich an die Sagas?«
Thor Larsen dachte an seine Kindheit Anfang der vierziger Jahre in dem kleinen Fischerhaus in Alesund zurück, als die deutschen Patrouillen auf der Straße vorbeimarschiert waren, während seine Mutter ihm die Geschichten von den großen Helden der nordischen Mythologie vorgelesen hatte, die Sagas.
»Es soll einen Namen tragen, der Nörd, dem Gott der Schiffahrt, gefällt«, sagte Wennerström ruhig. Er umklammerte sein Wasserglas und starrte in die Flamme der Kerze vor ihm. »Denn Nörd wacht über Feuer und Wasser, die beiden Feinde eines Tankerkapitäns.«
Das Wasser in seinem Glas und die Kerzenflamme spiegelten sich in den Augen des Alten, wie sich 1942 Feuer und Wasser in seinen Augen gespiegelt hatten, als er mitten im Atlantik, vier Kabellängen von seinem brennenden Tanker – seinem ersten Kommando – entfernt, hilflos in einem Rettungsboot gehockt und miterlebt hatte, wie seine Besatzung um ihn herum im Meer verbrannte.
Thor Larsen starrte seinen Reeder an. Er konnte sich nicht vorstellen, daß der Alte wirklich an diese Mythen glaubte; Lisa als Frau wußte, daß das sein voller Ernst war. Wennerström lehnte sich schließlich zurück, schob das Wasserglas ungeduldig fort und schenkte sich ein Glas Rotwein ein.
»Das Schiff soll den Namen der Tochter Nörds tragen – der Schönsten aller Göttinnen. Wir wollen es Freyja nennen.« Er hob sein Glas. »Auf die ›Freyja‹.«
Alle drei tranken.
»Wenn sie ausläuft«, sagte Wennerström, »wird die Welt noch nie ihresgleichen gesehen haben. Und wenn sie eines Tages abgewrackt ist, wird die Welt ihresgleichen nie wieder sehen.«
Larsen wußte, daß die beiden größten Tanker der Welt, die französischen Shell-Tanker Bellamya und Batillus , jeweils ein Fassungsvermögen von über einer halben Million Tonnen hatten.
»Wie groß wird die ›Freyja‹?« erkundigte sich Larsen. »Wieviel Rohöl kann sie transportieren?«
»Richtig, das habe ich zu erwähnen vergessen«, antwortete der alte Reeder verschmitzt. »Sie befördert eine Million Tonnen Rohöl.«
Thor Larsen hörte, wie seine Frau neben ihm erschrocken tief Luft holte.
»Ein großer Tanker«, sagte er schließlich. »Ein sehr großer Tanker.«
»Der größte Tanker, den die Welt je gesehen hat«, bestätigte Wennerström.
Zwei Tage später landete auf dem Londoner Flughafen Heathrow ein Jumbo-Jet aus Toronto. Zu den Passagieren gehörte ein gewisser Asamat Krim, in Kanada geborener Sohn eines Emigranten, der seinen Namen wie Andrew Drake anglisiert hatte und jetzt Arthur Crimmins hieß. Er gehörte zu den Männern, die Drake schon vor Jahren als zuverlässige Gesinnungsgenossen kennengelernt hatte.
Drake wartete auf ihn am Zollausgang und fuhr anschließend mit ihm in seine Wohnung in der Bayswater Road.
Asamat Krim war ein kleiner, schwarzhaariger, drahtiger Krimtatar. Sein Vater hatte, im Gegensatz zu Drakes Vater, im Zweiten Weltkrieg mit der Roten Armee statt gegen sie gekämpft. Aber seine Treue zu Rußland war ihm nicht gelohnt worden. Nachdem er in deutsche Gefangenschaft geraten war, waren er und seine Volksgenossen von Stalin als Kollaborateure der Deutschen angeklagt worden. Die Beschuldigung entbehrte jeder Grundlage, sie lieferte Stalin jedoch einen Vorwand, die gesamte tatarische Nation in die Wildnis des Ostens zu deportieren. Zehntausende waren in den ungeheizten Viehwaggons erfroren; weitere Tausende hatten in Ermangelung warmer Kleidung und ausreichender Nahrung in den Eiswüsten Kasachstans und Sibiriens den Tod gefunden.
Tschingris Krim hatte in einem deutschen Arbeitslager von dem Tod seiner Familie erfahren. 1945 war er von den Kanadiern befreit worden. Er hatte Glück gehabt und war nicht nach Rußland zurückgeschickt worden, um hingerichtet oder zu Zwangsarbeit verurteilt zu werden. Ein kanadischer Offizier, ein ehemaliger Rodeoreiter aus Calgary, der eines Tages auf einem österreichischen Gestüt die Reitkünste des Tataren bewundert
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