Des Teufels Alternative
Dienstes zu tun und zu lassen hat. Dafür habe ich zuviel Respekt vor seinem Urteilsvermögen. Aber ich werde tun, was ich kann.«
Erst nach der offiziellen Verabschiedungszeremonie vor dem Hauptportal des Weißen Hauses, bei der die britischen Besucher mit einem Dauerlächeln für die Kameras der Journalisten zu ihren Limousinen begleitet wurden, konnte Stanislaw Poklewski seinen Gefühlen Luft machen.
»Auf der ganzen Welt gibt es kein noch so gefährliches Risiko für einen russischen Agenten, das mit dem Erfolg oder Mißerfolg der Verhandlungen in Castletown vergleichbar wäre!« ereiferte er sich.
»Richtig«, stimmte Bill Matthews zu, »aber ich weiß von Bob Benson, daß das Risiko darin besteht, daß die Nachtigall jetzt enttarnt werden könnte. Würde sie gefaßt, wüßte das Politbüro, welche Informationen bisher weitergegeben worden sind. In diesem Fall würden die Sowjets die Castletown-Konferenz platzen lassen. Deshalb muß Nachtigall entweder zum Schweigen gebracht oder aus Rußland herausgeholt werden – aber erst nach Abschluß des neuen Vertrages. Und das kann noch ein halbes Jahr dauern.«
Während die Sonne in Washington noch hoch am Himmel stand, ankerte die Sanadria in der Abenddämmerung auf der Reede im Hafen von Odessa. Nachdem das Rasseln der Ankerkette verklungen war, herrschte auf dem Frachter Stille. Nur das Summen der Generatoren im Maschinenraum und das leise Zischen einer undichten Dampfleitung auf Deck waren zu hören. Andrew Drake lehnte auf der Back an der Reling und sah zu, wie in Stadt und Hafen die Lichter angingen.
Westlich des Schiffs bildeten der Ölhafen und die Raffinerie – beide durch einen Maschendrahtzaun gesichert – den nördlichsten Bereich der Hafenanlage. Im Süden wurde der Hafen durch den schützenden Wall der seewärts ausgreifenden Mole begrenzt. Etwa 40 Kilometer jenseits der Mole lag die sumpfige Dnjestrmündung, wo Miroslaw Kaminski fünf Monate zuvor ein Boot gestohlen und die verzweifelte Flucht in die Freiheit gewagt hatte. Ihm war es zu verdanken, daß Andrew Drake – Andrej Drach – in das Land seiner Väter heimgekehrt war. Und diesmal war er bewaffnet gekommen.
Am Abend erhielt Kapitän Thanos die Mitteilung, er werde am nächsten Morgen an einen Liegeplatz am Kai geschleppt. Zollbeamte und der Gesundheitsinspektor kamen an Bord. Sie verbrachten eine Stunde in Thanos’ Kabine und tranken seinen erstklassigen Scotch, den er für diesen Anlaß reserviert hatte. Das Schiff wurde nicht durchsucht. Drake beobachtete, wie der Zollkutter wieder ablegte, und fragte sich, ob Thanos ihn verraten hatte. Nichts wäre einfacher gewesen: Drake würde beim Landgang verhaftet werden, und Thanos behielt seine 5000 Dollar.
Drake war sich darüber im klaren, daß alles davon abhing, ob Thanos ihm glaubte, daß er seiner Verlobten Geld bringen wollte. In diesem Fall hatte der Grieche keinen Grund, ihn zu verraten, denn das war ein ganz alltägliches Vergehen; seine eigenen Matrosen brachten auf jeder Reise Schmuggelware nach Odessa, und Dollarscheine waren nur eine andere Art von Schmuggelgut. Und falls jemand das Gewehr und die Pistolen entdeckt hätte, wäre es am einfachsten gewesen, sie ins Meer zuwerfen und den Engländer nach der Rückkehr in Piräus von Bord zu jagen. Trotzdem brachte Drake abends keinen Bissen herunter und konnte nachts nicht schlafen.
Bei Sonnenaufgang kam der Lotse an Bord. Die Sanadria lichtete Anker und wurde langsam an den Wellenbrechern vorbei von einem Schlepper an ihren Liegeplatz bugsiert. Drake hatte gehört, daß dieser Hafen von allen eisfreien Häfen der Sowjetunion der am häufigsten angelaufene sei und es oft lange Liegezeiten gab, bevor die Schiffsladungen gelöscht werden konnten. Aber offenbar wurden die Elevatoren dringend gebraucht. Er konnte nicht ahnen, wie dringend. Sobald die Hafenkräne ihre Arbeit begannen, erhielt die Freiwache Landurlaub.
Auf See hatte Drake sich mit dem Schiffszimmermann angefreundet: einem Griechen mittleren Alters, der Liverpool kannte und eifrig bemüht war, seine zwanzig Worte Englisch anzubringen. Er hatte sie zu seiner eigenen Begeisterung jedesmal wiederholt, wenn er und der Engländer sich an Bord begegnet waren, und Drake hatte ihm jedesmal aufmunternd und anerkennend zugenickt. Drake hatte Konstantin mit einer Mischung aus Englisch und Zeichensprache erklärt, er habe in Odessa eine Freundin, der er Geschenke mitbringen wolle. Das fand Konstantin ganz richtig. Sie
Weitere Kostenlose Bücher