Des Teufels Alternative
konnten sie das Gespräch mithören. Sir Nigel hatte Munros Blick bemerkt.
»Solange wir nicht schreien, hört uns niemand«, stellte er gleichmütig fest. »Ein Gentleman belauscht keinen Gentleman, der mit einem Gentleman etwas zu besprechen hat.«
Munro dachte einen Moment lang nach.
»Wir tun’s«, sagte er ruhig.
»Das ist etwas anderes«, widersprach Ferndale. »Das ist unser Beruf.«
»Also gut«, sagte Munro. »Ich möchte die Nachtigall herausholen.«
Sir Nigel betrachtete das glühende Ende seiner Zigarre.
»So, so«, meinte er. »Aus einem bestimmten Grund?«
»Zum einen weil sie überfordert ist«, antwortete Munro. »Das Originaltonband der Junisitzung ist gestohlen und durch eine Leerspule ersetzt worden. Dieser Tausch könnte entdeckt werden – das zehrt Nachtigall an den Nerven. Zum anderen besteht die Gefahr, daß unser Informant enttarnt wird. Diese Gefahr wird mit jeder Lieferung größer. Wir wissen inzwischen, daß Maxim Rudin um sein politisches Überleben kämpft, außerdem will er seinen Nachfolger selbst bestimmen können. Falls die Nachtigall unvorsichtig wird oder auch nur Pech hat, kann ihr das den Kopf kosten.«
»Das kann jedem Hochverräter passieren«, warf Ferndale ein. »Das ist Berufsrisiko. Penkowski ist auch geschnappt worden.«
»Das ist der springende Punkt!« sagte Munro. »Penkowski hatte praktisch alles geliefert, was er liefern konnte. Die Kubakrise war beigelegt. Die Russen konnten den von ihm angerichteten Schaden nicht wiedergutmachen.«
»Spricht das nicht dafür, Nachtigall auf dem Posten zu. belassen?« fragte Sir Nigel. »Sie kann doch noch eine Menge für uns tun.«
»Vielleicht ist auch das Gegenteil der Fall«, antwortete Munro. »Wenn wir Nachtigall herausholen, erfährt der Kreml nie von den Lieferungen an uns. Wird der Informant geschnappt, bringen sie ihn zum Reden. Sein Geständnis genügt, um Rudin zu stürzen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo der Westen größtes Interesse daran haben sollte, daß Rudin bleibt.«
»Allerdings!« bestätigte Sir Nigel. »Ich weiß, was Sie meinen. Hier geht es darum, die Risiken richtig einzuschätzen. Holen wir Nachtigall heraus, überprüft das KGB wahrscheinlich alle Unterlagen der letzten Monate. Dabei dürfte die Sache mit dem verschwundenen Tonband aufkommen, die darauf hindeuten würde, daß Nachtigall vor seiner Flucht noch mehr Material geliefert hat. Wird der Informant jedoch gefaßt, sieht das Ganze noch schlimmer aus; denn dann bringt man ihn dazu, das uns gelieferte Material genau anzugeben. Das könnte durchaus zu Rudins Sturz führen. Wischnajew käme wahrscheinlich auch nicht ungeschoren davon, aber bestimmt würde die Castletown-Konferenz platzen. Es gibt eine dritte Möglichkeit: Wir belassen Nachtigall an Ort und Stelle, bis ein Abrüstungsvertrag geschlossen worden ist. Danach sind die Kriegstreiber im Politbüro machtlos. Es ist keine einfache Entscheidung.«
»Ich möchte den Informanten herausholen«, beharrte Munro. »Oder er soll wenigstens auf Tauchstation gehen und die Lieferungen einstellen.«
»Ich möchte, daß er weitermacht«, sagte Ferndale. »Zumindest bis Castletown vorbei ist.«
Sir Nigel überdachte noch einmal das Für und Wider.
»Ich bin heute nachmittag bei der Premierministerin gewesen«, sagte er schließlich. »Sie hat sich mit einer Bitte, einer dringenden Bitte, an mich gewandt, wobei sie auch im Namen des amerikanischen Präsidenten gesprochen hat. Ich kann diese Bitte im Augenblick nicht abschlagen – es sei denn, Nachtigall befände sich in unmittelbarer Gefahr, enttarnt zu werden. Die Amerikaner halten es für unerläßlich, von Nachtigall über die sowjetische Verhandlungsposition in Castletown informiert zu werden, damit sie einen möglichst günstigen Vertrag aushandeln können. Sie rechnen damit, daß sich die Konferenz bis zum Ende des Jahres hinzieht.
Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Barry, Sie bereiten einen Plan vor, auf Grund dessen wir Nachtigall herausholen können. Der Plan muß jederzeit durchführbar sein. Sobald der Nachtigall der Boden unter den Füßen zu heiß wird, holen wir sie heraus. Umgehend! Aber im Augenblick sind die Verhandlungen in Castletown und die Niederschlagung der Gruppe um Wischnajew vorrangig. Noch drei bis vier Lieferungen, dann wird die Konferenz sowieso im Abschlußstadium sein. Die Sowjets müssen bis Februar, spätestens März, den Vertrag über die Getreidelieferungen unter Dach und Fach bringen. Danach kann
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