Des Teufels Alternative
Wolkenfetzen vor sich hertrieb. Die Wasserfläche war gekräuselt.
»Ich habe mich in London erkundigt«, sagte Adam sanft. »Sie haben mir erklärt, es sei im Augenblick zu gefährlich. Wenn sie dich jetzt herausholten, würde die Sache mit dem Tonband auffliegen – und damit wäre klar, daß Protokolle weitergegeben worden sind. Sie fürchten, daß das Politbüro dann die Konferenz abbrechen und auf Wischnajews Plan zurückgreifen könnte.«
Ein leichtes Zittern überfiel Walentina. Wegen des eisigen Windes am See oder aus Angst vor ihren eigenen Machthabern? Munro wußte es nicht. Er legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich.
»Wahrscheinlich haben sie recht«, meinte sie leise. »Zumindest verhandelt das Politbüro jetzt, um uns Nahrung und Frieden zu sichern, anstatt sich auf einen Krieg vorzubereiten.«
»Rudin und seine Gruppe scheinen es damit ernst zu meinen«, vermutete er. Aber sie winkte ab.
»Sie sind genauso schlimm wie die anderen«, sagte sie. »Wenn sie nicht unter Druck stünden, wären sie nicht verhandlungsbereit.«
»Aber sie stehen unter Druck«, meinte Munro. »Die Getreideernte wird jetzt eingeholt. Sie wissen, vor welche Wahl sie gestellt sind. Ich glaube, die Welt bekommt ihren Friedensvertrag.«
»Dann hätte sich mein Einsatz gelohnt«, sagte Walentina. »Ich will nicht, daß Sascha wie ich zwischen Trümmern aufwächst oder mit der Waffe in der Hand leben muß.«
»Dazu wird es nicht kommen«, sagte Munro. »Glaub mir, Liebling, er wird in der Freiheit, im Westen aufwachsen – mit dir, seiner Mutter, und mit mir, seinem Stiefvater. Meine Vorgesetzten haben sich einverstanden erklärt, dich im Frühjahr herauszuholen.«
Sie sah mit einem hoffnungsvollen Leuchten in den Augen zu ihm auf.
»Im Frühjahr? O Adam, wann im Frühjahr?«
»Die Verhandlungen können nicht allzulange dauern. Die Sowjetunion braucht das Getreide spätestens im April. Bis dahin sind sämtliche Vorräte, einschließlich der Reserven, erschöpft. Sobald der Vertrag ausgehandelt ist, vielleicht schon vor seiner Unterzeichnung, wirst du mit Sascha herausgeholt. Bitte riskier von nun an nicht mehr so viel wie bisher. Liefere nur noch das wichtigste Material für die Castletown-Konferenz.«
»Ich habe ein Protokoll dabei.« Sie versetzte ihrer Umhängetasche einen leichten Stoß. »Es ist zehn Tage alt. Darin ist von so vielen technischen Dingen die Rede, daß ich es kaum verstehe. Auf der Sitzung ging es um die zulässige Verringerung mobiler SS 20.«
»Taktische Raketen mit Atomsprengköpfen: höchst zielsicher und höchst mobil, auf Selbstfahrlafetten montiert und in ganz Osteuropa in Wäldern und unter Tarnnetzen versteckt.«
Vierundzwanzig Stunden später war das Protokoll nach London unterwegs.
Am 29. Oktober ging in der Innenstadt von Kiew eine alte Dame auf dem Weg zu ihrer Wohnung die Swerdlowstrage entlang. Sie stammte aus einer Bauernfamilie und war auf dem Land aufgewachsen. Das mochte der Grund dafür sein, daß sie es selbst als Mittsiebzigerin noch vorzog, kurze Strecken zu Fuß zurückzulegen, obwohl ihr eine Limousine mit Chauffeur zustand. Aber weil ihre Freundin, bei der sie den Abend verbracht hatte, nur zwei Häuserblocks von ihrer eigenen Wohnung entfernt wohnte, hatte sie dem Fahrer freigegeben. Kurz nach zehn Uhr überquerte sie die Straße vor dem Haus, in dem ihre Wohnung lag.
Das Auto kam zu schnell, als daß sie es hätte rechtzeitig wahrnehmen können. Eben war die Straße noch leer gewesen bis auf zwei Fußgänger in etwa 100Meter Entfernung; im nächsten Augenblick, als sie sich auf der Mitte der Fahrbahn befand, raste der Wagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern und quietschenden Reifen auf sie zu. Sie erstarrte. Der Fahrer schien direkt auf sie zuzusteuern. Im letzten Moment riß er den Wagen zur Seite. Sie wurde von einem Kotflügel erfaßt und in den Rinnstein geschleudert. Ohne anzuhalten, raste das Auto die Swerdlowstraße in Richtung Kreschtschatik-Boulevard davon. Undeutlich hörte sie noch die herbeihastenden Schritte der Passanten, die ihr zu Hilfe kamen. Dann verlor sie das Bewußtsein.
An diesem Abend kehrte Edwin J. Campbell, der amerikanische Delegationsleiter bei der Castletown-Konferenz, müde und niedergeschlagen in die Residenz des Botschafters in Phoenix Park zurück. Die Vereinigten Staaten stellten ihrem Gesandten in Dublin eine elegante, von Grund auf modernisierte Villa zur Verfügung, deren schönstes Gästezimmer Edwin J. Campbell
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