Des Teufels Alternative
Mann geeignet? Als die Limousine am Ende der Rosa-Luxemburg-Straße war, schaltete der Oberst die Innenbeleuchtung ein. Was er sah – und er hatte in seiner Dienstzeit viel gesehen –, genügte. Sein Chef würde nie mehr ein Krankenhaus brauchen. Kukuschkins nächster Gedanke stellte sich aufgrund seines Berufs automatisch ein: Niemand durfte von dem Attentat erfahren! Das Undenkbare war geschehen, aber das durfte nur ein kleiner Kreis Auserwählter wissen. Kukuschkin verdankte seine Karriere seiner Geistesgegenwart. Er beobachtete, wie die zweite Limousine, in der die Leibwächter saßen, hinter ihnen aus der Rosa-Luxemburg-Straße herausschoß, und wies den Chauffeur an, nach drei Kilometern in einer ruhigen Seitenstraße zu parken.
Nachdem der Oberst seinen blutdurchtränkten Zivilmantel ausgezogen hatte, ließ er den SIL mit zugezogenen Vorhängen unter Bewachung der Leibwächter zurück und fuhr mit der zweiten Limousine davon. Von einer Kaserne aus, wo sein Ausweis und sein Dienstgrad ihm augenblicklich Zutritt zum Büro des Kommandanten verschafften, telefonierte er über eine Direktleitung mit dem Kreml. Nach fünfzehn Minuten war die Verbindung hergestellt.
»Ich muß den Genossen Generalsekretär sprechen. Es ist dringend!« Da der Anruf über eine Direktleitung kam, konnte die Telefonistin sicher sein, daß es sich nicht um den Scherz eines anonymen Anrufers handelte. Sie verband Kukuschkin mit einem Angestellten im Arsenalgebäude, der ihn warten ließ, während er über das Haustelefon mit Maxim Rudin sprach. Rudin befahl, den Anruf durchzustellen.
»Ja?« knurrte er in die Sprechmuschel. »Hier ist Rudin.«
Kukuschkin hatte noch nie mit dem Staats- und Parteichef gesprochen, obwohl er ihn schon oft aus nächster Nähe erlebt hatte. Er erkannte den Generalsekretär an der Stimme. Der Oberst schluckte mühsam, holte tief Luft und begann mit seinem Bericht.
Am anderen Ende hörte Rudin aufmerksam zu, stellte zwei kurze Fragen, erteilte einige knappe Befehle und legte den Hörer auf. Dann drehte er sich nach Wassili Petrow um, der ihn am Abend aufgesucht hatte und sich nun gespannt und besorgt nach vorn beugte.
»Er ist tot!« Rudin war fassungslos. »Kein Herzschlag. Erschossen. Juri Iwanenko. Der Vorsitzende des KGB ist soeben hinterrücks ermordet worden!«
Die Uhr im Erlöser-Turm schlug Mitternacht, und eine schlafende Welt trieb langsam in einen Krieg hinein.
Kapitel 8
Seit jeher ist das KGB offiziell dem sowjetischen Ministerrat unterstellt. In der Praxis jedoch untersteht es dem Politbüro.
Die Routinearbeit des KGB, die Ernennung seiner Offiziere, alle Beförderungen und die strenge Schulung jedes einzelnen Mitarbeiters werden vom Politbüro durch die ZK-Abteilung Parteiorganisation überwacht. Jeder KGB-Angehörige wird unabhängig von seiner Stellung ohne Unterlag beobachtet, ausgehorcht und in den Akten festgehalten; in der Sowjetunion werden selbst die Wachhunde bewacht. Deshalb ist es unwahrscheinlich, daß dieser umfassendste und mächtigste Kontrollapparat jemals außer Kontrolle gerät.
Das Tarnunternehmen, das Maxim Rudin unmittelbar persönlich angeordnet hatte, wurde nach Juri Iwanenkos Ermordung von Wassili Petrow geleitet.
Rudin hatte Oberst Kukuschkin am Telefon befohlen, mit den beiden Limousinen sofort nach Moskau zurückzufahren, ohne unterwegs eine Essens- oder Erholungspause einzulegen. Der SIL mit der Leiche Iwanenkos sollte an abgeschiedenen Plätzen mit Benzin aus Kanistern aufgetankt werden, das von den Männern mit dem anderen Wagen besorgt werden mußte.
Als die Wagen die Außenbezirke von Moskau erreichten, wurden sie auf dem schnellsten Weg zur Klinik des Politbüros in Kunzewo geleitet, wo der Leichnam mit dem zertrümmerten Schädel in aller Stille in einem Kiefernwäldchen auf dem Klinikgelände in einem unbezeichneten Grab beigesetzt wurde. Die Totengräber waren Iwanenkos eigene Leibwächter, die anschließend in demselben Wäldchen in einer Kremlvilla unter Hausarrest gestellt wurden. Dort wurden sie nicht von KGB-Angehörigen, sondern von Soldaten der Kremlgarde bewacht.
Nur Oberst Kukuschkin wurde nicht aus dem Verkehr gezogen. Er war in das Büro von Wassili Petrow im Gebäude des Zentralkomitees beordert worden.
Der Oberst war ein ängstlicher Mann, und als er Petrows Büro verließ, wirkte er nicht viel mutiger. Petrow hatte ihm eine einzige Chance gegeben, sein Leben und seine Karriere zu retten: Er sollte das Tarnunternehmen
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