Des Teufels Alternative
Nachtigall in den Westen kommen, Adam, und ich bin davon überzeugt, daß die Amerikaner sich ihr gegenüber auf die übliche Weise dankbar erweisen werden.«
Das Abendessen in Maxim Rudins Wohnung im Kreml verlief in einer privateren Atmosphäre als jenes im Londoner Brook’s Club. Die übervorsichtigen Kremlherrscher haben noch nie darauf vertraut, daß ein Gentleman nicht das Gespräch eines anderen Gentleman belauscht. Nur der schweigsame Mischa war in Hörweite, als Rudin in seinem Lieblingssessel im Arbeitszimmer Platz nahm und Iwanenko und Petrow mit einer Handbewegung bedeutete, sich ebenfalls zu setzen.
»Was halten Sie von der heutigen Sitzung?« wollte Rudin ohne weitere Einleitung von Petrow wissen. Der Leiter der ZK-Abteilung Parteiorganisation zuckte mit den Schultern.
»Wir haben uns durchgesetzt«, antwortete er. »Rykows Bericht war hervorragend. Aber wir müssen trotzdem ziemlich große Zugeständnisse machen, wenn wir das Getreide wollen. Und Wischnajew ist noch immer auf seinen Krieg versessen.«
»Wischnajew hat’s auf meinen Stuhl abgesehen«, sagte Rudin barsch. »Das ist sein einziger Ehrgeiz. Der eigentliche Kriegstreiber ist Kerenski. Er will seine Streitkräfte einsetzen, bevor er zu alt dafür wird.«
»Das kommt letztlich aufs gleiche heraus«, meinte Iwanenko. »Falls Wischnajew Sie stürzt, wird er Kerenski so verpflichtet sein, daß er dessen Plan zur Lösung all unserer Probleme nicht ablehnen kann – was er wohl auch gar nicht will. Er läßt Kerenski im Frühjahr oder Frühsommer seinen Krieg führen. Gemeinsam vernichten die beiden dann alles, was zwei Generationen mühsam aufgebaut haben.«
»Was haben Sie gestern von Ihren Leuten erfahren?« fragte Rudin. Er wußte, daß Iwanenko zwei seiner erfahrensten Residenten in der Dritten Welt zur persönlichen Berichterstattung nach Moskau gerufen hatte. Der eine kontrollierte die Untergrundarbeit in Afrika; der andere leitete die Geheimoperationen im Mittleren Osten.
»Gute Nachrichten«, sagte Iwanenko. »Die Kapitalisten machen schon so lange eine miserable Afrikapolitik, daß ihre Position allmählich unhaltbar wird. In Washington und London sind noch immer die Liberalen am Ruder – also auch in den Außenministerien. Sie beschäftigen sich ausschließlich mit Südafrika und vergessen dabei völlig Nigeria und Kenia. Beide Länder sind kurz davor, uns zuzufallen. Die Franzosen im Senegal sind da hartnäckiger. Was den Mittleren Osten betrifft, so können wir meiner Ansicht nach damit rechnen, daß Saudi-Arabien innerhalb von drei Jahren kommunistisch wird. Es ist völlig eingeschlossen.«
»Wie sieht der Zeitplan aus?« fragte Rudin.
»In ein paar Jahren, spätestens bis neunzehnhundertneunzig, haben wir das Erdöl und die Schiffahrtswege unter unserer Kontrolle. Washington und London werden in scheinbarer Sicherheit gewogen, was sich bereits jetzt positiv auswirkt.«
Rudin stieß den Rauch seiner Zigarette aus und zerdrückte die Kippe in dem Aschenbecher, den Mischa ihm hinhielt.
»Ich erlebe das nicht mehr«, sagte er, »aber ihr beide werdet es erleben. Innerhalb eines Jahrzehnts wird der Westen ausgehungert sein, ohne daß wir einen einzigen Schuß abzugeben brauchen. Um so wichtiger ist es jetzt, Wischnajew rechtzeitig Einhalt zu gebieten.«
Vier Kilometer südwestlich des Kremls steht in einer engen Schleife der Moskwa unweit des Leninstadions das neue Kloster der Hl. Jungfrau. Sein Haupteingang befindet sich genau gegenüber dem größten Berioska-Laden, in dem reiche und privilegierte Sowjetbürger und Ausländer gegen Devisen Luxusartikel kaufen können, die für die breite Masse unerschwinglich sind.
Zum Klostergelände gehören zwei Seen und ein Friedhof, der für Besucher geöffnet ist. Der Pförtner am Eingangstor wird kaum jemanden aufhalten, der einen Blumenstrauß im Arm trägt.
Adam Munro stellte seinen Wagen auf dem Berioska-Parkplatz ab, zwischen Autos, deren Kennzeichen auf die Privilegien ihrer Besitzer hinwiesen.
»Wo verstecken Sie einen Baum?« hatte sein Ausbilder die Kursteilnehmer gefragt. »In einem Wald. Und wo verstecken Sie einen Kiesel? An einem Flußufer. Achten Sie immer darauf, daß alles natürlich bleibt.«
Munro überquerte die Straße und betrat mit seinem Nelkenstrauß den Friedhof. Nach kurzer Zeit stieß er auf Walentina, die an dem kleineren See auf ihn wartete. Mit den letzten Oktobertagen war der erste kalte Wind von den Steppen im Osten gekommen, der bleigraue
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