Des Teufels Kardinal
Sie hat einen Hubschrauber über dem Hügel kreisen lassen, auf den der Lastenaufzug hinaufführt. Wer weiß, vielleicht ist der Blonde auf diesem Weg geflüchtet? Aber die Polizei wird feststellen, daß Danny dort unten versteckt gewesen ist.« Harry zögerte. »Sie haben Ihre Sachen zurückgelassen, Elena. Die Polizei wird bald wissen, wer Sie sind, und vermutlich auch, daß ich bei Danny gewesen bin, weil ich nicht darauf geachtet habe, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
Sie wird alle Gänge und Kanäle absuchen, und wenn sie uns nicht findet, wird sie im gesamten Seegebiet eine Großfahndung nach uns einleiten.
Die von hier nach oben führende Straße ist fast unbefahrbar, aber wenn wir hier rauskommen, bevor die Polizei diese Höhle findet und vor Einbruch der Dunkelheit, damit ich ohne Scheinwerfer fahren kann, schaffen wir es vielleicht. Wenigstens bis zur Hauptstraße, auf der andere Fahrzeuge unterwegs sind. Bei Dunkelheit können wir dann vielleicht wie heute morgen durch ihre Straßensperren schlüpfen.«
»Um wohin zu fahren, Mr. Addison?«
»Mit viel Glück zur Autostrada bei Como und von dort aus nach Norden zur Schweizer Grenze in Chiasso.«
Elena zog kurz die Augenbrauen hoch. »Und von dort aus, Mr. Addison?«
»Das weiß ich noch nicht.« Plötzlich merkte Harry, daß Danny sie aus der Höhle aufmerksam beobachtete. Er sah ihn erstmals aus der Ferne, sah die Veränderungen, die mit Danny vorgegangen waren.
Abgemagert, körperlich sehr schwach, aber noch immer der Kämp-326
fer, als den Harry ihn in Erinnerung hatte. Manchmal stur, aber nie unterzukriegen. Trotzdem war er im Augenblick praktisch hilflos.
Harry wandte sich wieder an Elena. Es gab bestimmte Dinge, über die sie sich im klaren sein mußte, bevor sie von hier wegfuhren.
»Sie wissen, daß ich wegen Mordes an einem italienischen Kriminalbeamten gesucht werde. Und daß die Polizei Danny für den Attentäter hält, der den Kardinalvikar von Rom ermordet hat.«
»Ja.«
Harry blickte Elena eindringlich an. »Es ist wichtig, daß Sie wissen, daß ich diesen Kriminalbeamten nicht ermordet habe. Was mein Bruder getan oder nicht getan hat, werde ich erst erfahren, wenn er sich soweit erholt hat, daß ich ihn danach fragen kann. Und selbst dann weiß ich nicht, wieviel er mir darüber erzählen wird. Jedenfalls will ihn jemand umbringen, weil er etwas weiß, weil er etwas verraten könnte. Deshalb hat es der blonde Mann, vielleicht sogar die Polizei, auf ihn abgesehen. Nachdem jetzt feststeht, daß er noch lebt, werden sie ihm nicht nur nachstellen, sondern auch annehmen, daß er sein Wissen den Leuten anvertraut hat, die mit ihm zusammen sind.«
»Ihnen und mir, Mr. Addison.«
»Ja.«
»Und ob er uns etwas anvertraut hat oder nicht…«
»Danach werden sie nicht erst fragen«, ergänzte Harry an ihrer Stelle.
Plötzlich war ohne Vorwarnung ganz in der Nähe das Knattern der Rotorblätter eines Hubschraubers zu hören. Harry zog Elena am Arm unter den Überhang des Höhlendachs, bevor der Hubschrauber im nächsten Augenblick über den Grat hinter ihnen kam. Er flog auf den See hinaus, beschrieb eine weite Kurve, kam wieder zurück und verschwand hinter den Bäumen. Das Knattern verschwand mit ihm.
Elena wandte sich wieder an Harry.
»Ich verstehe unsere Lage, Mr. Addison, und bin auf alles gefaßt.«
Harry musterte sie nur einen Augenblick lang prüfend.
»Okay«, sagte er nur, dann ging er in die Höhle zurück, um Danny zu holen.
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Roscani sah zuerst den See und dann die Baumwipfel, als der Hubschrauber mit ihm über die felsigen Hügel flog, damit er sich das Gelände selbst genau ansehen konnte. Aber er sah nichts als Felsen und Bäume und auf der linken Seite die Wasserfläche des Sees.
»Verdammt!« fluchte er halblaut. Irgendwo dort unten waren sie: Pater Daniel, die Nonne, der blonde Mann mit dem Eispicker/
Rasiermesser und Harry Addison. Roscanis ursprüngliche Vermutung hatte sich bewahrheitet: Auch der Amerikaner war in der Grotte gewesen. Das bewiesen seine Fingerabdrücke, die in Pater Daniels Krankenzimmer entdeckt worden waren.
Roscani mochte sich nicht einmal vorstellen, wie es dem Amerikaner gelungen war, durch ihr Fahndungsnetz zu schlüpfen und die Grotte vor ihnen zu finden, oder wie er und die anderen es geschafft hatten, dem blonden Killer zu entkommen, was ihnen anscheinend geglückt war. Das einzig Positive daran war, daß die anfängliche Großfahndung in ganz Italien sich jetzt auf ein
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