Des Teufels Kardinal
die Verbrechen waren auf italienischem Boden verübt worden, wo er für sie zuständig war. Aber seine Zuständigkeit endete an den Mauern des Vatikans. Sobald die Gesuchten sich dahinter befanden, konnte er das Belastungsmaterial nur Marcello Taglia übergeben, der die Gruppo Cardinale als Chefermittler leitete. Danach lag die Gerechtigkeit in den Händen der Politiker, die letztlich untätig bleiben würden. Roscani wußte noch gut, wie Taglia sie vor Beginn der Ermittlungen wegen der Ermordung des Kardinalvikars aufgefordert hatte, äußerst behutsam vorzugehen, um »diplomatische Verwicklungen zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl zu vermei-den.« Mit anderen Worten: Falls der Vatikan es darauf anlegte, konnte er sogar ungestraft morden.
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Im ersten Augenblick hatte Harry daran gedacht, zu dem Mercedes zurückzulaufen, eine Seitenscheibe einzuschlagen, um an die Schlüssel heranzukommen, und Danny und Elena aus dem Apartment in der Via Nicolò V wegzubringen.
»Er ist tot. Sie haben ihn verstümmelt«, berichtete er Danny über sein Mobiltelefon. »Weiß der Teufel, was er ihnen erzählt hat. Vielleicht sind sie schon zu euch unterwegs!« Harry verließ eben die enge Gasse hinter dem Gebäude, in dem Pater Bardoni gewohnt hatte, trat auf die Straße hinaus und bemühte sich, nicht aufzufallen, während er die Via del Parione entlang hastete. Er hatte es verdammt eilig.
»Harry«, sagte Danny ruhig, »komm einfach zurück. Pater Bardoni hat bestimmt nichts verraten.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es einfach.«
Keine halbe Stunde später betrat Harry das Apartmentgebäude.
Nachdem er sich in der Eingangshalle umgesehen hatte, fuhr er nicht mit dem Aufzug, sondern benutzte die Treppe, weil er sich dort sicherer fühlte als in der kleinen Kabine, in der er hilflos festsitzen konnte.
Danny und Elena waren im Wohnzimmer, als er hereinkam. Er spürte sofort eine geradezu elektrische Spannung. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Schließlich nickte Danny zum Fenster hinüber. »Sieh mal nach draußen, Harry.«
Harry wechselte einen Blick mit Elena, dann trat er an das Wohn-zimmerfenster.
»Was soll ich hier sehen?«
»Sieh nach links die Mauer entlang«, forderte Danny ihn auf. »Im Hintergrund ragt der obere Teil eines runden Ziegelturms auf. Das ist der St.-Johannes-Turm, in dem Kardinal Marsciano gefangengehalten wird. Er befindet sich auf der anderen Seite in dem mittleren Raum auf halber Höhe. Dort führt eine Glastür auf einen kleinen Balkon hinaus. Diese Tür ist die einzige Öffnung in der Außenwand.«
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Obwohl der Turm ungefähr vierhundert Meter entfernt war, konnte Harry den oberen Teil deutlich sehen, einen von Zinnen gekrönten hohen Rundturm aus dem gleichen Ziegelmauerwerk wie die Mauer, hinter der er stand.
»Wir sind die einzigen, die es noch tun können«, stellte Danny ruhig fest.
Harry drehte sich langsam um.
»Du und ich und Schwester Elena.«
»Was tun?«
»Kardinal Marsciano rausholen.« Seine Emotionen, die Danny sich zuvor deutlich hatte anmerken lassen, als er Pater Bardoni nicht hatte erreichen können, hielt er jetzt völlig zurück. Pater Bardoni war tot; sie mußten ohne ihn weitermachen.
Harry schüttelte den Kopf. »Nein, nicht mit Elena.«
»Ich will aber, Harry.« Elena erwiderte seinen Blick. Daß das ihr Ernst war, stand außer Zweifel.
»Natürlich wollen Sie das. Warum auch nicht?« Harry sah von ihr weg zu Danny hinüber. »Sie ist so verrückt wie du.«
»Außer uns kann ihm niemand helfen, Harry«, sagte Elena leise.
Harry starrte wieder seinen Bruder an. »Woher weißt du so bestimmt, daß wir hier sicher sind? Daß Pater Bardoni ihnen nichts gesagt hat? Ich habe ihn gesehen, Danny. An seiner Stelle hätte ich ihnen alles gesagt, was sie wissen wollten.«
»Das mußt du mir einfach glauben, Harry.«
»Hier geht es nicht um dich, sondern um Pater Bardoni. Zu ihm ha-be ich kein volles Vertrauen.«
Danny betrachtete seinen Bruder lange schweigend. Als er dann sprach, war er bemüht, ihn merken zu lassen, daß hinter seinen Worten mehr steckte, als er ausdrücken konnte oder wollte.
»Dieses Apartmentgebäude gehört dem Hauptgesellschafter eines der größten Pharmakonzerne Italiens. Allein die Mitteilung, Kardinal Marsciano benötige für ein paar Tage eine ruhige Wohnung, hat bewirkt, daß sie ohne irgendwelche Fragen zur Verfügung gestellt wurde.«
»Was hat das mit Pater Bardoni zu tun?«
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»Harry, der
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