Des Teufels Kardinal
Wochenende seiner Karriere niemand finden konnte. Nicht die Medien, nicht seine Freunde, seine neueste Freundin oder sogar sein Agent, mit dem Harry gerade telefoniert hatte.
Niemand.
Außer Harry.
Harry wußte, wo er steckte. Jesus Arroyo Manuel Rodriguez, wie sein voller Name lautete, war bei seinen Eltern in der Escuela Street in East L. A. Er war bei seiner Mom und seinem Dad, der Hausmei-ster in einem Krankenhaus war, und bei seinen Brüdern und Schwestern und Cousins und Cousinen und Onkeln und Tanten.
Ja, Harry wußte, wo er war, und hätte ihn anrufen können, aber das wollte er nicht. Er gönnte Jesus diese Zeit mit seiner Familie. Der Junge würde wissen, was auf ihn wartete, und sich irgendwann selbst melden. Er sollte ruhig feiern, denn alles andere, auch der Anruf mit Glückwünschen seines Anwalts, hatte Zeit bis später. Das Geschäft beherrschte sein Leben noch nicht so, wie es Harrys Leben und das fast aller Stars der Unterhaltungsbranche beherrschte.
Als Harry gestern ins Hotel Hassler gekommen war, hatten bereits achtzehn Anrufer auf einen Rückruf gewartet. Aber er hatte keinen einzigen zurückgerufen, weil es undenkbar gewesen wäre, wie ge-wöhnlich zu arbeiten. Er war ins Bett gefallen und hatte emotional und körperlich erschöpft fünfzehn Stunden lang geschlafen. Aber nach seiner Begegnung mit Farel war die Arbeit heute abend eine willkommene Abwechslung gewesen. Und alle seine Gesprächspartner hatten ihm zu dem großen Erfolg von Dog on the Moon und den glänzenden Karriereaussichten für Jesus Arroyo gratuliert, ihm freundlich ihr Mitgefühl für seine persönliche Tragödie ausgesprochen, sich dafür entschuldigt, daß sie unter diesen Umständen übers Geschäft sprachen, und dann doch übers Geschäft gesprochen.
Das war eine Zeitlang belebend und sogar tröstlich gewesen, weil es ihn von der Gegenwart ablenkte. Aber nach dem letzten Telefongespräch war Harry klargeworden, daß keiner seiner Gesprächspartner ahnte, daß er mit der Polizei zu tun hatte oder daß sein Bruder 55
den Kardinalvikar von Rom ermordet haben sollte. Und er durfte ihnen nichts davon erzählen. Gewiß, alle diese Leute waren seine Freunde, aber sie waren Geschäftsfreunde, nicht mehr.
Harry wurde erstmals bewußt, wie einsam er in Wirklichkeit war.
Abgesehen von Byron Willis, der verheiratet war, zwei kleine Kinder hatte und trotzdem nicht weniger arbeitete als er selbst, hatte er keinen richtigen Freund, keinen wahren Vertrauten. Sein Leben war zu hektisch, als daß tiefere Bindungen hätten entstehen können. Mit Frauen war es nicht anders. Er gehörte zur Elite Hollywoods, und schöne Frauen gab es überall. Er benutzte sie, und sie benutzten ihn, das gehörte alles zum großen Spiel. Eine private Filmvorführung, danach Dinner, Sex und wieder zurück ins Geschäft mit Besprechun-gen, Verhandlungen und Telefongesprächen, manchmal mit wochen-langen Pausen zwischen solchen Verabredungen. Seine längste Affä-
re, die er mit einer Filmschauspielerin gehabt hatte, hatte nur wenig mehr als ein halbes Jahr gedauert. Er war zu beschäftigt, zu abgelenkt gewesen. Bisher hatte ihn dieser Lebensstil nie gestört.
Harry verließ den Schreibtisch, trat ans Fenster und sah hinaus.
Sein letzter Blick über Rom hatte ihm die Stadt im Licht der unter-gehenden Sonne gezeigt; jetzt war es Nacht, und Rom leuchtete.
Unter ihm auf der Spanischen Treppe und der anschließenden Piazza di Spagna herrschte reges Treiben, eine Massenansammlung kommender, gehender und einfach nur herumstehender Menschen, zwischen denen hier und da uniformierte Polizeibeamte zu sehen waren.
Dahinter sah er ein Gewirr aus engen Straßen und Gassen, über denen die rötlichen und cremefarbenen Ziegeldächer von Wohnhäusern, Geschäften und kleinen Hotels sich entlang der uralten Straßen-züge ausfächerten, bis sie das schwarze Band des Tibers erreichten.
Jenseits des Flusses ragte die angestrahlte Kuppel des Petersdoms in dem Stadtteil auf, in dem er heute gewesen war. Darunter erstreckte sich der Vatikan, Jakow Farels Revier. Die Residenz des Papstes.
Das geistige und moralische Zentrum für fast eine Milliarde Katholi-ken in aller Welt. Und der Ort, an dem Danny die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte.
Wie konnte Harry erfahren, wie diese Jahre gewesen waren? Waren sie bereichernd oder nur eine geistlose Fron gewesen? Warum hatte 56
Danny nach dem Ausscheiden aus dem Marinekorps ein Theologiestudium begonnen? Das hatte
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