Des Teufels Kardinal
überführt werden solle? Bis morgen mußte er eine Antwort parat haben. Und im Augenblick hatte er noch keinen blassen Schimmer, was er sagen würde.
Eine halbe Stunde später war Harry von seinem nächtlichen Spaziergang erhitzt und noch immer ohne eine Lösung wieder im Hassler und trat an die Rezeption, um sich seinen Zimmerschlüssel geben zu lassen. Er wollte nur noch hinauffahren, ins Bett fallen und in einen traumlos tiefen Schlaf des Vergessens sinken.
»Eine Dame möchte Sie sprechen, Mr. Addison.«
Eine Dame? Die einzigen Leute, die Harry in Rom kannte, waren vier Männer. »Wissen Sie das bestimmt?«
59
Der Portier lächelte. »Ja, Sir. Sehr attraktiv, trägt ein grünes Abendkleid. Sie wartet an der Bar im Wintergarten.«
»Danke.« Harry ging hinüber. Irgend jemand im Büro mußte eine Filmschauspielerin als Mandantin haben, die zufällig in Rom war, und sie gebeten haben, bei Harry vorbeizuschauen, vielleicht um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Das war das letzte, was er als Abschluß dieses Tages brauchen konnte. Ganz egal, wer sie war oder wie sie aussah.
Sie saß allein an der Theke. Im ersten Augenblick ließ er sich von ihrem langen kastanienbraunen Haar und dem smaragdgrünen Abendkleid täuschen. Aber er kannte dieses Gesicht, er hatte sie schon hundertmal in ihrer typischen Aufmachung mit Baseballmütze und Feldjacke im Fernsehen gesehen, wie sie unter Artilleriebeschuß aus Bosnien, über einen terroristischen Bombenanschlag in Paris oder aus Flüchtlingslagern in Afrika berichtete. Sie war keine Filmschauspielerin. Sie war Adrianna Hall, der Star aller Korrespondenten, die für das World News Network aus Europa berichteten.
Unter fast allen anderen Umständen hätte Harry sich sehr darum bemüht, Adrianna Hall kennenzulernen. Sie war in seinem Alter, vielleicht etwas jünger, mutig, abenteuerlustig und – wie der Portier gesagt hatte – sehr attraktiv. Aber sie war auch eine Medienvertrete-rin, und mit den Medien wollte er im Augenblick nichts zu tun haben. Wie sie ihn gefunden hatte, wußte er nicht, aber sie hatte ihn aufgespürt, und er mußte sich jetzt überlegen, was dagegen zu tun war. Oder vielleicht auch nicht. Er brauchte einfach nur kehrtzuma-chen und zu verschwinden. Was er auch tat.
Er war schon fast wieder in der Hotelhalle, als sie ihn einholte.
»Harry Addison?«
Er blieb stehen und drehte sich um. »Ja?«
»Ich bin Adrianna Hall, WNN.«
»Ich weiß.«
Sie lächelte. »Aber Sie wollen nicht mit mir reden?«
»Stimmt.«
Adrianna lächelte nochmals. Ihr Abendkleid war elegant, aber irgendwie zu förmlich. »Ich habe hier mit einem Freund zu Abend gegessen und wollte gerade gehen, als ich gesehen habe, daß Sie dem 60
Portier Ihren Schlüssel gegeben haben. Er sagte mir, Sie hätten bemerkt, Sie wollten nur einen Spaziergang machen. Ich habe gehofft, daß Sie nicht allzu weit gehen würden.«
»Tut mir leid, Miss Hall, aber ich möchte wirklich nicht mit den Medien sprechen.«
»Sie trauen uns nicht?« Diesmal erreichte das Lächeln auch ihre Augen, in denen eine spöttische Herausforderung aufblitzte.
»Ich will mit niemandem reden. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, es ist schon spät.«
Harry wollte sich abwenden, aber sie legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Was könnte Sie dazu bewegen, mir zu trauen, zumindest mehr als jetzt?« Sie stand dicht vor ihm, und er nahm den herben Duft ihres Parfüms wahr. »Ich könnte Ihnen erzählen, daß ich von Ihrem Bruder weiß. Daß die Polizei Sie am Flughafen zur Vernehmung abgeholt hat. Daß Sie heute mit Jakow Farel zusammengekommen sind.«
Harry starrte sie an.
»Sie brauchen nicht so zu staunen. Solche Dinge zu wissen, ist mein Beruf. Aber ich habe noch mit keinem Menschen darüber gesprochen, und das tue ich auch nicht, bevor die Ermittlungen offiziell abgeschlossen sind.«
»Aber Sie wollten sich trotzdem einen persönlichen Eindruck von mir verschaffen.«
»Schon möglich.«
Harry zögerte, dann lächelte er. »Danke, aber es ist wie gesagt schon spät…«
»Was wäre, wenn ich sagen würde, daß ich Sie sehr attraktiv finde und tatsächlich aus diesem Grund auf Ihre Rückkehr gewartet habe?«
Harry versuchte, nicht zu grinsen. Diese Situation war er aus Hollywood gewöhnt. Eine direkte, selbstbewußte sexuelle Anmache, auf die man je nach Lust und Laune scherzhaft oder ernst reagieren konnte. Im Grunde genommen war sie ein blinkender Köder, der spielerisch ausgeworfen wurde, nur um zu
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