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Des Teufels Kardinal

Des Teufels Kardinal

Titel: Des Teufels Kardinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Folsom
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ging, fühlte Harry sich in seiner Gegenwart klein und unbedeutend. Es war nichts anders, als erhielte man Besuch von einem Staatsoberhaupt.
    »Pater Daniel ist seit vielen Jahren mein Privatsekretär gewesen.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Sie warten jetzt hier, weil Sie den Wunsch haben, ihn noch einmal zu sehen.«
    »Ganz recht.«
    »Während Sie mit Signore Gasparri gesprochen haben, hat Pater Bardoni mich in der Hoffnung angerufen, mir könnte es eher gelingen, Sie von Ihrem Vorhaben abzubringen«, fuhr der Kardinal fort.
    Er schüttelte ernst den Kopf. »Ich habe ihn gesehen, Mr. Addison.
    Ich habe zu den Leuten gehört, die von der Polizei gebeten worden sind, die Toten zu identifizieren. Ich habe seinen schrecklich zuge-richteten Leichnam gesehen. Ich habe gesehen, was stolze Erfindun-gen der Menschen anrichten können.«
    »Das macht mir nichts aus.« Harry dachte nicht daran, sich von Marsciano einschüchtern oder umstimmen zu lassen. Was er vorhatte, ging nur Danny und ihn etwas an. »Das verstehen Sie hoffentlich.«
    Der Kardinal antwortete nicht gleich. »Ja, das verstehe ich«, sagte er nach einer längeren Pause.
    Pater Bardoni zögerte, dann verließ er den Raum.
    »Sie sind Ihrem Bruder sehr ähnlich«, stellte Marsciano fest. »Das ist ein Kompliment, Mr. Addison.«

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    »Danke, Eminenz.«
    Im nächsten Augenblick wurde eine Tür neben dem Altar geöffnet, und Pater Bardoni kam herein. Unmittelbar hinter ihm folgten Gasparri und ein stämmiger Mann in einer gestärkten weißen Leinenjacke, der ein fahrbares Gestell schob, auf dem ein kleiner Holz-sarg stand. Beim Anblick dieses Kindersargs mit Dannys sterblichen Überresten wurde Harry beklommen zumute. Er holte tief Luft. Wie bereitete man sich auf so etwas vor? Wie machte man sich darauf gefaßt? Schließlich sah er zu Pater Bardoni hinüber.
    »Bitten Sie ihn, den Sarg zu öffnen.«
    »Wollen Sie das wirklich?«
    »Ja.«
    Marsciano nickte knapp. Gasparri zögerte noch, bevor er sich über den Sarg beugte und den Deckel abnahm.
    Harry tat einen Augenblick lang gar nichts. Dann machte er sich auf das Schlimmste gefaßt, trat vor und blickte in den Sarg. Er hörte sich erschrocken tief Luft holen. Der Tote lag auf dem Rücken. Seine rechte Rumpfhälfte fehlte weitgehend. Wo das Gesicht hätte sein sollen, war nur eine Masse aus zerschmetterten Knochen und blut-verklebten Haaren zu sehen, in der anstelle des rechten Auges ein großes Loch gähnte. Die Arme fehlten, beide Beine waren unterhalb der Knie abgerissen. Noch obszöner wirkte das Ganze dadurch, daß jemand dem Torso eine Unterhose angezogen hatte, wie um dem Betrachter den Anblick der wohl ebenfalls verstümmelten Ge-schlechtsteile zu ersparen.
    »O Gott!« flüsterte Harry. Abscheu, Entsetzen und Trauer brande-ten über ihn hinweg. Er wurde kreidebleich und mußte sich mit einer Hand festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dann hörte er einen italienischen Wortschwall und merkte, daß Gasparri ihn offenbar ansprach.
    »Signore Gasparri entschuldigt sich für den Anblick, den Ihr Bruder bietet«, sagte Pater Bardoni. »Er möchte den Sarg schließen und ihn wieder hinausbringen.«
    Harry sah zu ihm hinüber und schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht…«

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    Den verstümmelten Torso erneut zu betrachten, erforderte Harrys gesamte Kraft. Aber er mußte sich zusammenreißen. Er mußte einen klaren Kopf behalten. Er mußte Danny stumm sagen, was er sich vorgenommen hatte. Dann sah er Kardinal Marscianos Handbewegung, auf die hin Gasparri mit dem Sargdeckel vortrat. Gleichzeitig wurde Harry auf etwas anderes aufmerksam.
    »Nein!« sagte er scharf, und Gasparri erstarrte förmlich. Harry streckte eine Hand aus, berührte die kalte Brust und fuhr dann mit dem Zeigefinger über die Haut unter der linken Brustwarze. Im nächsten Augenblick spürte er, daß er weiche Knie bekam.
    »Alles in Ordnung, Mr. Addison?« Pater Bardoni trat einen Schritt auf ihn zu.
    Harry richtete sich ruckartig auf. »Das ist er nicht! Das ist nicht mein Bruder!«

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    Harry wußte nicht, was er denken oder empfinden sollte. Auf die Idee, in dem Sarg könnte jemand anders als Danny liegen, wäre er nie gekommen. Daß diese grausige Verwechslung nach eingehenden polizeilichen Ermittlungen, nach der Sicherstellung des persönlichen Eigentums, der Identifizierung des Toten durch Kardinal Marsciano und der Ausstellung des Leichenscheins noch hatte passieren können, war eigentlich unvorstellbar.
    Kardinal

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