Des Teufels Kardinal
würde einen Actionfilm auf Malta und in Bangkok drehen und dafür ein Pauschalhonorar von sechs Millionen Dollar oder wahlweise zehn Prozent der Bruttoeinnahmen des ersten Wochenendes erhalten, an dem der Film in den USA lief. Eine halbe Stunde später war diese Vereinbarung hinfällig gewesen, weil der Hauptdarsteller plötzlich aus unbekannten Gründen nicht mehr hatte mitmachen wollen. Zwei Stunden und ein halbes Dutzend Telefongespräche später machte der Star wieder mit, aber nun überlegte 66
der Regisseur, ob er andere Angebote annehmen sollte. Ein Anruf bei dem Star, der in einem Restaurant in West L. A. beim Mittagessen saß, einer bei dem Produzenten, der irgendwo im San Fernando Valley mit dem Auto unterwegs war, und ein weiterer bei dem Agenten des Regisseurs endeten mit einem Konferenzgespräch, das die drei mit dem Regisseur in seiner Villa in Malibu führten. Vierzig Minuten später machte auch der Regisseur wieder mit und war bereit, am nächsten Morgen nach Malta abzufliegen.
Mit dieser Telefonkampagne hatte Harry Verträge im Wert von rund siebeneinhalb Millionen Dollar abgeschlossen. Fünf Prozent davon, rund dreihundertfünfundsiebzigtausend Dollar, bekam seine Anwaltsfirma Willis, Rosenfeld & Barry. Nicht allzu schlecht für jemanden, der durch andere Sorgen abgelenkt und mit sehr wenig Schlaf von einem Hotelzimmer auf einem anderen Kontinent aus arbeitete. Deshalb bezog er ein üppiges Gehalt und einen Bonus und eine Gewinnbeteiligung und… Harry Addison, der Junge aus der Kleinstadt, hatte es in der Welt wirklich weit gebracht. Plötzlich kam ihm das alles sehr schal und unwichtig vor.
Er knipste das Licht aus und schloß in der Dunkelheit die Augen.
Sobald er das tat, kamen die Schattengestalten. Er bemühte sich, sie zu verdrängen und an etwas anderes zu denken. Aber sie kamen trotzdem. Schatten, die sich entlang einer fernen, schimmernden Mauer bewegten, bevor sie sich umdrehten und auf ihn zukamen.
Gespenster. Eines, zwei, drei, dann vier.
Madeline.
Sein Vater.
Seine Mutter.
Und dann:
Danny.
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Dienstag, 8. Juli, 10.20 Uhr
Auf dem Bodenbelag machten ihre Schritte kein Geräusch, als sie die Treppe hinuntergingen: Harry Addison, Pater Bardoni und Signore Gasparri, der Direktor des Bestattungsunternehmens. Unten wandte Gasparri sich nach links und führte die Besucher einen senfgelben Korridor entlang, dessen Wände mit kitschigen Landschaftsgemälden geschmückt waren.
Harry tastete unwillkürlich nach dem in seiner Jackentasche stek-kenden Umschlag, den Gasparri ihm übergeben hatte. Er enthielt Dannys kümmerliche Besitztümer, die am Ort des Bombenanschlags sichergestellt worden waren: einen verkohlten Dienstausweis aus dem Vatikan, seinen nur wenig beschädigten Reisepaß, seine Brille, deren linkes Glas gesprungen war, während das rechte ganz fehlte, und seine Armbanduhr. Von diesen vier Gegenständen erzählte die Uhr am deutlichsten von der Tragödie, die sich auf der Autostrada ereignet hatte. Ihr Armband war durchgebrannt, das Gehäuse aus rostfreiem Stahl verfärbt, das Mineralglas gesprungen und das Uhr-werk am 3. Juli um 10.51 Uhr stehengeblieben – in der Sekunde, in der die Sprengladung unter dem Bus hochgegangen war.
An diesem Morgen hatte Harry die Entscheidung getroffen, wo Danny beigesetzt werden sollte: auf einem kleinen Friedhof im Westen von Los Angeles. Schließlich wohnte Harry in L. A. hatte dort seinen Lebensmittelpunkt und sah trotz der emotionalen Achterbahn-fahrt, auf der er sich gegenwärtig befand, keinen Grund, an einen Umzug zu denken. Außerdem fand er den Gedanken tröstlich, Danny in seiner Nähe zu haben. Er konnte von Zeit zu Zeit hinfahren, sich darum kümmern, ob das Grab gut gepflegt wurde, und vielleicht sogar mit Danny reden. So war keiner von ihnen allein und vergessen. Und auf seltsame Weise konnte diese räumliche Nähe vielleicht sogar dazu beitragen, die jahrelange Entfremdung zwischen ihnen abzubauen.
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»Mr. Addison, ich bitte Sie«, Pater Bardonis Stimme klang sanft und mitleidvoll, »um Ihrer selbst willen. Lassen Sie die früheren Erinnerungen die bleibenden sein.«
»Ich wollte, das könnte ich, Pater, aber das ist mir unmöglich.«
Auf die Idee, den Sarg öffnen zu lassen, um Danny noch einmal zu sehen, war Harry erst in den letzten Minuten der kurzen Fahrt vom Hotel zu dem Bestattungsunternehmen gekommen. Obwohl ihm dieser Gedanke an sich widerstrebte, wußte er genau, daß er es sonst für den Rest seines
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