Des Teufels Kardinal
Lebens bedauern würde, das nicht getan zu haben.
Vor ihnen blieb Gasparri stehen, öffnete eine Tür und begleitete sie in einen kleinen, indirekt beleuchteten Raum, in dem drei Reihen ungepolsterter Stühle vor einem schlichten hölzernen Altar standen.
Gasparri sagte kurz etwas auf italienisch, dann ging er hinaus.
»Er hat uns gebeten, hier zu warten.« Aus Pater Bardonis Blick hinter der schwarzen Hornbrille sprach tiefes Mitgefühl, und Harry wußte, daß er ihn nochmals bitten würde, sich die Sache anders zu überlegen.
»Ich weiß, daß Sie es gut mit mir meinen, Pater. Aber bemühen Sie sich bitte nicht.« Harry schaute ihn sekundenlang an, damit der andere sah, daß er sich nicht umstimmen lassen würde, und wandte sich dann ab, um den Raum genauer zu betrachten.
Wie der Rest des Gebäudes war er alt und abgenutzt. Seine ver-putzten Wände waren immer wieder ausgebessert worden und in dem gleichen Senf gelb wie der Korridor draußen gestrichen. Unter dem dunklen Holz des Altars und der Stühle wirkte der in vielen Jahrzehnten ausgebleichte Terrakottaboden fast weiß. Wie viele Menschen waren wohl schon hergekommen, um hier zu sitzen, vor sich hinzustarren und wieder zu gehen, nur um durch andere ersetzt zu werden, die ebenfalls hergekommen waren, um Abschied von einem Toten zu nehmen?
Harry setzte sich auf einen der Stühle. Die grausige Arbeit, die Opfer des Busattentats zu identifizieren und auf Sprengstoffrückstände zu untersuchen, hatte auf Wunsch der noch über die Ermordung Kardinal Parmas entsetzten italienischen Regierung eine personell verstärkte Sonderkommission übernommen. Anschließend waren die 69
Toten aus dem Leichenkeller des Gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Rom zu verschiedenen umliegenden Bestattungsunternehmen gebracht worden, die den Auftrag hatten, sie in geschlossenen Särgen zur Bestattung in ihre Heimatorte zu überführen. Trotz der gegen ihn laufenden Ermittlungen war auch Danny nicht anders behandelt worden. Nun wartete der verstümmelte Leichnam von Pater Daniel irgendwo hier in Gasparris Gebäude darauf, wie die übrigen Leichen in einem verschlossenen Sarg nach Hause überführt und dort bestattet zu werden.
Harry hätte es dabei bewenden lassen können, vielleicht sogar sollen. Er hätte den Sarg ungeöffnet nach Kalifornien mitnehmen sollen, um Danny beisetzen zu lassen. Aber das konnte er nicht, nicht nach all dem, was passiert war. Wie Danny aussah, spielte keine Rolle. Er mußte ihn ein letztes Mal sehen, um jene letzte Bewegung zu machen, die besagte: Tut mir leid, daß ich nicht dagewesen bin, als du mich gebraucht hast. Tut mir leid, daß zwischen uns so viel Bitterkeit und Unverständnis geherrscht haben. Daß wir’s nie geschafft haben, darüber zu reden und es zu ergründen, um darüber hinwegzukommen… Um einfach zu sagen: Good bye, ich liebe dich und habe dich immer geliebt, auch wenn es anders ausgesehen hat.
»Mr. Addison…« Pater Bardoni war nach vorn gekommen, stand jetzt neben ihm. »Ich bitte Sie um Ihrer selbst willen. Ich habe schon erlebt, wie starke und entschlossene Männer wie Sie angesichts des Unaussprechlichen zusammengebrochen sind. Finden Sie sich mit Gottes Willen ab. Sehen Sie ein, daß Ihr Bruder wollen würde, daß Sie ihn im Gedächtnis behalten, wie er früher gewesen ist.«
Dann wurde die Tür hinter ihnen geöffnet, und ein Mann mit sil-bergrauem kurzem Haar kam herein. Er war fast einen Meter achtzig groß, sah gut aus und hatte eine Aura um sich, die aristokratisch und zugleich gütig und menschenfreundlich wirkte. Zu einer schwarzen Soutane trug er die rote Schärpe eines Kurienkardinals, eine kleine purpurrote Schädelkappe und ein goldenes Brustkreuz an einer Hals-kette.
»Eminenz…« Pater Bardoni verbeugte sich leicht.
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Der Neuankömmling nickte ihm zu, bevor er sich an Harry wandte.
»Ich bin Kardinal Marsciano, Mr. Addison. Ich komme, um Ihnen mein tiefes Beileid auszusprechen.«
Marsciano sprach ausgezeichnetes und flüssiges Englisch. Alles an ihm, seine Erscheinung, sein Blick und seine Körpersprache, wirkte ruhig und beruhigend.
»Danke, Eminenz.« Obwohl Harry mit vielen Mächtigen und weltberühmten Stars befreundet war, hatte er noch nie mit einem Kardinal und erst recht nicht mit einem Mann von Marscianos Stellung innerhalb der Kirche zu tun gehabt. Da er katholisch erzogen worden war, auch wenn er diesen Glauben lange zuvor schon abgelegt hatte und nicht mehr in die Kirche
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