Des Teufels Kardinal
sei er auf einen anderen Planeten versetzt worden, dessen Bewohner alle nach ihm Ausschau hielten. Dann blieb er plötzlich wie angenagelt stehen, weil er seine eigene Stimme hörte. Im Schaufenster eines Elektroge-schäfts war ein Dutzend Fernseher unterschiedlicher Größen aufgebaut. Und er war auf allen Bildschirmen zu sehen: mit Sonnenbrille und in dem Sportsakko, das er bei Herkules zurückgelassen hatte, auf einem Hocker sitzend. Seine Stimme kam aus einem Lautsprecher über der Ladentür:
»Danny, ich bitte dich, aus deinem Versteck zu kommen… dich zu stellen. Sie wissen alles… Bitte, tu’s für mich… Stell dich bitte der Polizei… Bitte…«
Dann war wieder ein italienischer Nachrichtensprecher im Studio zu sehen. Harry hörte seinen Namen und Dannys. Als nächstes wurden Filmaufnahmen des Attentats auf den Kardinalvikar von Rom gezeigt. Überall Polizei, Krankenwagen, eine kurze Szene mit Farel und ein flüchtiger Blick auf den Mercedes, der den Heiligen Vater eiligst vom Tatort weg in Sicherheit brachte.
Harry merkte plötzlich, daß auch andere Passanten auf dem Gehsteig standen und die Sendung verfolgten. Er ging mit abgewandtem Gesicht weiter. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Wo kam dieser Videofilm her? Er erinnerte sich vage an die Sache mit dem Ohrhö-
rer, durch den jemand ihm etwas vorgesagt hatte. Er wußte noch, daß er die Worte wiederholt hatte, daß sie ihm falsch vorgekommen waren und er versucht hatte, etwas dagegen zu tun. Dann war er nieder-geschlagen worden und hatte das Bewußtsein verloren. Doch plötzlich war ihm klar, was passiert war: Diese Leute hatten ihn gefoltert, damit er Dannys Aufenthaltsort verriet, und als sie gemerkt hatten, 154
daß er ihn nicht kannte, hatten sie ihn zu diesem Videofilm gezwungen und ihn danach fortgeschafft, um ihn zu erledigen.
Harry trat auf die Straße, wartete eine Lücke im Verkehr ab und wechselte auf die andere Straßenseite. Die Fotos in den Zeitungen waren schlimm genug gewesen, aber jetzt war sein Gesicht auf allen Fernsehschirmen Italiens zu sehen. Vielleicht sogar weltweit. Zum Glück hatte er seine Sonnenbrille getragen. Sie mußte ihn etwas getarnt haben. Zumindest ein bißchen.
Mit hämmerndem Herzen ging er schneller, während weitere Menschen an ihm vorbeieilten. Auf der anderen Straßenseite sah er eine große Grünanlage und dahinter eine riesige, anscheinend sehr alte Kirche.
Er überquerte rasch die Straße und die Piazza in Richtung der Kirche. Dabei sah er zwei Streifenwagen mit Blinklicht und Sirene dicht hintereinander vorbeirasen. Er ging weiter.
Vor ihm ragte die Kirche auf, riesig, uralt, verlockend, ein Zufluchtsort, an dem er vor dem Getümmel auf der Straße unsichtbar sein würde. Etwa zwanzig Menschen, offenbar Touristen, standen auf der zum Portal hinaufführenden Treppe. Einige hatten sich umgedreht und blickten in die Richtung, aus der Harry kam. Andere konzentrierten sich auf die Kirche. Aber was konnte er in einer Großstadt anderes erwarten? Leute gab es überall. Er konnte nur hoffen, daß es ihm zumindest für einige Zeit gelingen würde, uner-kannt in der Menge unterzutauchen.
Harry überquerte den gepflasterten Vorplatz, ging die Stufen hinauf und bahnte sich seinen Weg durch die Menschen. Die Touristen achteten kaum auf ihn, als er zwischen ihnen hindurchging und die Kirche durch ein riesiges offenes Bronzeportal betrat.
Drinnen herrschte trotz der vielen Besucher fast völlige Stille. Harry blieb wie andere Eintretende erst einmal stehen, ein Geistlicher, der bei seinem Rombesuch eine der berühmten Kirchen bestaunte.
Das Mittelschiff vor ihm war ungefähr zwanzig Meter breit und fünf-bis sechsmal so lang. Über Harry wölbte sich die reich geschnitzte und vergoldete Decke etwa dreißig Meter über dem prächtig gearbeiteten, polierten Marmorboden. Hohe Fenster dicht unterhalb des Gewölbes ließen dramatische Lichtstrahlen ins Kircheninnere fallen.
155
An den Wänden rahmten Statuetten und Freskos zwölf riesige Apo-stelstatuen ein. Harrys Zufluchtsort war offenbar keine schlichte Kirche, sondern eine Kathedrale.
Links neben ihm arbeitete eine australische Reisegruppe sich an der Wand entlang zu dem großen Hauptaltar vor. Er schloß sich ihr unauffällig an, ging langsam weiter, bewunderte die Kunstwerke und spielte weiter den Touristen. Bisher war er nur einmal prüfend angesehen worden, von einer älteren Frau, die sich anscheinend mehr für seinen Kopfverband als sein Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher