Des Teufels Kardinal
Informationen fehlten, mußte er den Mord für Zufall halten. Aber das konnte er nicht. Der Zusammenhang war unverkennbar. Doch weshalb war Harry Addisons Partner ermordet worden? Weil er etwas über Harry gewußt hatte? Oder über Pater Daniel?
Roscani schrieb auf dem PC eine Antwort und schickte sie seiner Sekretärin, um sie übersetzen und an Harris/FBI/Los Angeles übermitteln zu lassen. Er bedankte sich für die Mitteilung, bat darum, weiter auf dem laufenden gehalten zu werden, und schlug vor – obwohl das FBI das bestimmt längst tat –, alle Freunde und Geschäftspartner Harry Addisons zu befragen, um festzustellen, ob es irgend etwas gab, das jeder von ihnen wußte, und sie zu warnen, daß ihr Leben in Gefahr sein könnte.
Roscanis Telefon klingelte. Die Anruferin war Valentina Gori, eine Sprachtherapeutin und Lippenleserin, die er auf den Videofilm mit Harry Addison angesetzt hatte. Sie hatte sich den Film mehrmals angesehen, war jetzt unten und wollte mit ihm darüber sprechen.
Harrys Gesicht war auf dem großen Bildschirm erstarrt, als Roscani hereinkam, Valentina die Hand gab und sie auf beide Wangen küßte.
»Du hast recht, glaube ich. Er scheint etwas sagen zu wollen oder hat versucht, etwas zu sagen, kurz bevor der Film endet. Aber vielleicht hat er auch einfach nur den Kopf gehoben.«
167
Sie richtete die Fernbedienung auf den Bildschirm und ließ den Film in Zeitlupe weiterlaufen. Harrys Mund begann sich zu öffnen, und Roscani hörte seine durch die Zeitlupe dumpf verzerrte Stimme, seine letzten Worte. Harry schien sich zu entspannen, aber im nächsten Augenblick hob er mit geöffnetem Mund abrupt den Kopf. An dieser Stelle endete der Videofilm.
»Das klingt fast wie ein I…«
Aus den Lautsprechern drang ein langsames Zischen, als atme ein angetrunkener Riese aus.
»Gut, aber was kommt danach?« fragte Roscani ungeduldig, während er Harrys Gesicht auf dem Bildschirm anstarrte.
»Ich weiß nicht, ob er nicht einfach nur fertig und müde war und lediglich ausatmen wollte.«
»Nein, er hat etwas sagen wollen. Noch mal!« verlangte Roscani, und Valentina ließ den Film erneut in Zeitlupe ablaufen. Auch diesmal war das zischende Geräusch zu hören, kurz bevor der Bildschirm dunkel wurde.
Roscani runzelte die Stirn. »Was fällt dir dazu ein? Wie viele tausend Filme hast du schon gesehen? Du mußt eine Vorstellung davon haben, was hinter dieser Szene steckt?«
Valentina lächelte. »Tausend Ideen, Otello. Hundert mögliche Sze-narien. Aber ich muß mich darauf beschränken, was ich sehe. Und was ich höre. Danach haben wir einen übermüdeten Mann mit einer Beule am Kopf vor uns, der getan hat, was jemand von ihm verlangt hat, und sich ausruhen möchte. Vielleicht sogar schlafen.«
Roscani drehte sich ruckartig um und schaute sie an. »Wie kommst du darauf, daß jemand das von ihm verlangt hat?«
»Beweisen kann ich es nicht. Ich habe nur so ein Gefühl.« Valentina blinzelte ihm zu. »Manchmal tun wir etwas, das jemand von uns verlangt, selbst wenn wir mit dem Herzen nicht recht dabei sind.«
»Wir reden hier nicht von Sex, Valentina«, sagte Roscani ausdruckslos.
»Nein.« Sie wurde ebenfalls wieder ernst. »Otello, ich bin keine Psychologin, sondern nur eine Frau mit etwas Lebenserfahrung. Hier auf dem Bildschirm sehe ich einen Mann, der scheinbar freimütig spricht, aber Stimme und Körperhaltung verraten, daß er das nicht 168
freiwillig tut. Wie ein Kind, das widerstrebend das Geschirr abräumt, damit es hinausgehen und spielen darf.«
»Du glaubst also, daß er unter Zwang gesprochen hat?«
»Für solche Schlußfolgerungen fehlen mir die Informationen.« Valentina legte ihm lächelnd eine Hand auf den Arm. »Außerdem ist das nicht meine Aufgabe, Otello. Dafür bist du zuständig.«
169
44
Harry beobachtete, wie sie herankam, wie sie über die Piazza Navona auf den Brunnen zukam und dabei mit einem Strohhalm aus einem Plastikbecher trank: hellblauer Rock, weiße Bluse, das Haar zu einem Nackenknoten zusammengefaßt, Sonnenbrille, gemächlich schlendernd. Sie hätte eine Sekretärin oder Touristin sein können, die sich vielleicht überlegte, ob sie ein versprochenes Rendezvous wirklich einhalten sollte. Jedenfalls alles andere als eine Journalistin, die sich mit dem meistgesuchten Mann Italiens treffen wollte. Falls sie die Polizei mitgebracht hatte, sah er sie nirgends.
Er beobachtete, wie sie einen langsamen Rundgang um den Brunnen machte, ohne sich dabei
Weitere Kostenlose Bücher