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Des Teufels Kardinal

Des Teufels Kardinal

Titel: Des Teufels Kardinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Folsom
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selben Augenblick kam ein junges Paar herein, beugte das Knie vor dem Altar und setzte sich in die erste Bankreihe.
    Harry zählte langsam bis zwanzig. Dann stand er auf, bekreuzigte sich und verließ die Kapelle durch dieselbe Tür wie Marsciano.
    Dahinter lag ein schmaler Flur, in dem der Kardinal auf ihn wartete.
    »Kommen Sie bitte mit«, forderte Marsciano ihn auf.
    Ihre Schritte hallten von den abgetretenen schwarzweißen Boden-fliesen wider, als der Kardinal Harry den Korridor entlang in einen älteren Teil des Gebäudes führte. Marsciano bog auf einen anderen Flur ab und öffnete dort eine Tür, die in eine weitere Kapelle führte.
    Diese hier war kleiner, intimer beleuchtet und wies nur drei Reihen Bänke vor einem schlichten Bronzekreuz auf. Links und rechts neben diesem Kreuz ragten bis zur Decke hohe Fenster, die vor dem Nacht-himmel schwarz wirkten.

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    »Sie wollten mich sprechen. Hier bin ich, Mr. Addison.« Marsciano schloß die Tür und drehte sich so um, daß Stirn und Augen im Schatten blieben. Dieser vielleicht gar nicht beabsichtigte Effekt unterstrich seine Autorität und erinnerte Harry daran, daß Marsciano, unabhängig davon, was auch immer er sonst sein mochte, noch immer ein Kirchenfürst, ein mächtiger Mann innerhalb der vatikanischen Hierarchie war. Kraftvoll und fast überlebensgroß.
    Trotzdem durfte Harry sich nicht von ihm einschüchtern lassen.
    »Mein Bruder lebt, Eminenz, und Sie wissen, wo er ist.«
    Marsciano äußerte sich nicht dazu.
    »Vor wem beschützen Sie ihn? Vor der Polizei? Vor Farel?«
    Harry wußte, daß Marsciano ihn beobachtete, daß Marscianos Augen, die er nicht sehen konnte, ihn prüfend musterten.
    »Lieben Sie Ihren Bruder, Mr. Addison?«
    »Ja.«
    »Lieben Sie Ihren Bruder?« wiederholte der Kardinal, diesmal nachdrücklicher, fordernd, unnachgiebig. »Sie sind ihm entfremdet.
    Sie haben jahrelang nicht mehr mit ihm gesprochen.«
    »Er ist mein Bruder.«
    »Viele Menschen haben Brüder.«
    »Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen.«
    »Sie haben seit Jahren keine Verbindung mehr zu ihm gehabt.
    Warum ist er Ihnen auf einmal so wichtig?«
    »Er ist mir eben wichtig.«
    »Warum gefährden Sie dann sein Leben?«
    Harry fühlte Wut und Angst in sich aufsteigen. »Sagen Sie mir einfach, wo er ist.«
    »Haben Sie sich schon überlegt, was Sie dann tun wollen?« Marsciano wartete seine Antwort nicht ab, sondern sprach sofort weiter.
    »Bei ihm in seinem Versteck bleiben? Sich für immer mit ihm verborgen halten? Früher oder später werden Sie erkennen, daß Ihnen nichts anderes übrigbleibt, als sich der Polizei zu stellen. Und wenn Sie das tun, Mr. Addison, wenn Ihr Bruder und Sie aus ihrem Versteck kommen, werden Sie beide liquidiert. Ihr Bruder, weil er zuviel weiß, und Sie, weil man vermuten wird, er habe es Ihnen erzählt.«
    »Was weiß er eigentlich?«

    224
    Marsciano schwieg lange, dann trat er aus dem Schatten, der bisher über sein Gesicht gefallen war, so daß Harry ihn erstmals genauer betrachten konnte. Vor ihm stand kein Kirchenfürst mehr, sondern ein einsamer, innerlich zerrissener, von Angst erfüllter Mann. Aus seinem Blick sprach größere Angst, als Harry je für möglich gehalten hätte. Dieser unerwartete Anblick verwirrte ihn.
    »Sie haben schon einmal versucht, ihn zu ermorden. Sie versuchen es weiter. Ein Berufskiller hat den Auftrag, ihn aufzuspüren und zu beseitigen.« Marscianos Blick ließ Harry nicht mehr los.
    »Via di Montoro Nummer siebenundvierzig. Glauben Sie ja nicht, Sie seien heute nachmittag unbeobachtet in Ihre Wohnung zurückgekehrt. Glauben Sie ja nicht, daß die Priesterkleidung Sie weiterhin tarnt. Ich warne Sie mit allem Nachdruck davor, weiter nach ihm zu forschen! Denn beharren Sie weiter darauf…«
    »Wo ist er? Was weiß er?«
    »…beharren Sie weiter darauf, sage ich Ihnen selbst, wo er ist. Und wenn ich das tue, bekommen wir ihn beide nie wieder zu sehen.«
    Marscianos Stimme sank zu einem Flüstern herab. »So vieles steht auf dem Spiel.«
    »Die Kirche?« Harry spürte unwillkürlich einen Schauder, während er das sagte.
    Der Kardinal starrte ihn noch einen Augenblick an, wandte sich dann ruckartig ab, zog die Tür auf und verschwand nach draußen, wo seine Schritte auf dem Gang verhallten.

    225
    60
    Montag, 13. Juli, 1.20 Uhr
    Roscani nahm den Anruf nackt entgegen, weil er in heißen Sommernächten immer unbekleidet schlief. Mit einem raschen Blick zu seiner Frau hinüber forderte er den

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