Des Teufels Kardinal
Zu Fuß, falls das der richtige Ausdruck war, in die Schweiz unterwegs.
Zehn Minuten später parkte Harry den Fiat in Bahnhofsnähe in einer Seitenstraße und benutzte sein Taschentuch, um seine Fingerabdrük-ke von Lenkrad, Schaltknüppel und Türgriff abzuwischen. Dann stieg er aus, sperrte den Wagen ab und folgte den Wegweisern, die ihn über Via Borsieri und Viale Varese zum See und der Piazza Cavour geleiteten. Um nicht aufzufallen, paßte er sich dem Tempo der übrigen Passanten an und bemühte sich, nur ein Priester zu sein, der wie sie den warmen Sommerabend genoß.
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Gelegentlich nickte ihm jemand zu oder lächelte ihn im Vorbeigehen an. Harry reagierte ebenso freundlich, sah sich dann aber unauffällig um, weil er sich vergewissern wollte, daß niemand ihn erkannt hatte, mit anderen Leuten über ihn sprach oder ihm folgte, um ihn nochmals aus der Nähe zu betrachten.
Während er einen Platz überquerte und dabei weiter auf die Wegweiser achtete, fiel ihm eine Menschentraube auf, die einen Zeitungskiosk umlagerte. Als er näher kam, sah er Dannys Gesicht auf den Titelseiten der Abendausgaben. Alle Zeitungen brachten fast dieselbe Schlagzeile: »Sacerdote Fuggitivo a Bellagio?« – Der flüchtige Priester in Bellagio? Harry wandte sich rasch ab und ging weiter.
Hundertfünfzig Meter weiter erreichte er den Boulevard. Rechts stand das Hotel Palace, ein riesiger Sandsteinkasten mit einem vorge-lagerten, übervollen Straßencafe. Aus Lautsprechern drang Schla-germusik, Gäste aßen und tranken, Ober mit weißen Schürzen schlängelten sich zwischen den Tischen hindurch. Lauter normale, alltägliche Leute, die alltägliche Dinge taten, ohne auch nur zu ahnen, was für ein aufregendes Erlebnis ihnen bevorgestanden hätte, wenn einer von ihnen den vorbeigehenden bärtigen Priester mit der schwarzen Baskenmütze erkannt und Alarm geschlagen hätte.
Aber niemand erkannte ihn. Und dann war Harry wie irgendein anderer Passant an dem Café vorbei. Im nächsten Augenblick bog er um eine Ecke und war auf der Piazza Cavour. Direkt vor ihm stand das Hotel Barchetta Excelsior.
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Harry klopfte an die Tür von Zimmer fünfhundertfünfundzwanzig und wartete mit der Baskenmütze in der Hand und in Schweiß gebadet. Das kam von seinen zerrütteten Nerven, aber auch von der Julihitze. Noch bei Sonnenuntergang herrschten draußen mindestens sechsundzwanzig Grad.
Er wollte erneut anklopfen, als die Zimmertür plötzlich geöffnet wurde. Vor ihm stand Adrianna mit vom Duschen nassem Haar, in einem weißen Hotelbademantel und mit ihrem Mobiltelefon am Ohr.
Harry trat rasch ein, schloß die Tür hinter sich und sperrte ab.
»Er ist jetzt hier.« Adrianna war am Fenster und zog die Vorhänge zu, während sie weitertelefonierte. Der Fernseher in einer Zimmerecke war eingeschaltet, aber die Nachrichten liefen ohne Ton. Auf dem Bildschirm stand eine Reporterin vor dem Weißen Haus. Im nächsten Augenblick wurden die Parlamentsgebäude in London gezeigt.
Adrianna ging durch das Zimmer, trat an den Toilettentisch und beugte sich vor dem Spiegel nach vorn, um etwas auf einen Notizblock zu kritzeln.
»Heute abend, okay… Ja, das habe ich…«
»Das ist Eaton gewesen?«
»Ja.« Adrianna drehte sich nach ihm um.
»Wo ist Danny?«
»Das weiß kein Mensch.« Ihr Blick streifte den Fernseher – immer auf dem Sprung, falls etwas Interessantes gemeldet wurde, eine alte Gewohnheit, das Leiden aller Medienberufe –, bevor sie sich wieder auf Harry konzentrierte. »Roscani und seine Leute haben die Villa in Bellagio, in der er angeblich sein sollte, vor ein paar Stunden gründlich durchsucht. Ergebnislos.«
»Die Polizei weiß, daß das Danny und nicht jemand anders gewesen ist?«
»Sie ist davon überzeugt, daß er es gewesen ist. Roscani ist noch hier in Como. Das sagt eigentlich schon alles.« Adrianna strich sich eine noch feuchte Haarsträhne hinter das Ohr zurück. »Du siehst aus, als könntest du jeden Augenblick vor Hitze zerfließen. An deiner 249
Stelle würde ich wenigstens die Jacke ausziehen. Möchtest du einen Drink?«
»Nein.«
»Ich schon.«
Adrianna trat an die Minibar, öffnete die Tür und nahm eine kleine Flasche Cognac heraus. Sie goß den Inhalt in ein Glas und drehte sich damit zu Harry um.
Er starrte sie an. »Was tue ich als nächstes? Wie komme ich nach Bellagio?«
»Du bist wütend auf mich, stimmt’s? Wegen allem, was in Rom passiert ist. Weil ich Eaton eingeschaltet habe.«
»Nein,
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