Des Teufels Maskerade
sie uns anfänglich noch mit Fragen zum Inhalt des Briefs bestürmt, auf die wir doch keine Antwort wussten, war sie mit der Zeit in tiefes Schweigen versunken.
Ich trat zu ihr, berührte leicht ihre Schulter. »Kommen Sie, Comtesse. Wir wollen gehen.«
Sie hob den Kopf. »Meinen Sie, er wird mich heute Nacht töten?«, fragte sie in ruhigem, vernünftigem Tonfall. Alle Angst schien von ihr gewichen. Vielleicht hatte sie tatsächlich ihren Frieden gemacht mit der Aussicht, auf so drastische Art zu tun, was viele Eltern von ihren Töchtern und Söhnen verlangten: das eigene Leben dem Nutzen der Familie unterzuordnen, ein Opfer zu tätigen, um den Fluch vom Hause Trubic zu nehmen.
»Unwahrscheinlich«, mischte sich Lysander ein, ehe ich antworten konnte. »Wenn Master Buckinghams Angaben zu trauen ist, so nimmt eine Transformation viel Zeit in Anspruch. Ich glaube nicht, dass der Vampir das Risiko eingehen würde, seinen neuen Schützling und sich selbst dem Sonnenlicht auszusetzen. Nein, viel eher wird er versuchen, Sie durch ein Blutopfer an sich zu binden.«
Weil ich Pavel nicht wecken wollte, schickte ich Mirko los, um uns einen Wagen zu beschaffen.
»Bedeutet das, ich kann mitkommen?«, fragte er mit leuchtenden Augen. »Helfen, den Vampir unschädlich zu machen?«
Plötzlich meinte ich, Alvin Buckingham am Scheiterhaufen zu sehen: brennend, schreiend, und dennoch unsterblich, verdammt zum ewigen Leben in seiner grauenvollsten Ausprägung.
Wie viel Leid und Schmerz war es wert, dieses junge Leben der Comtesse Trubic, die ich zu beschützen hatte?
»Du wirst tun, was Lysander und ich dir sagen, selbst wenn es dir lächerlich erscheint?«, vergewisserte ich mich.
Mirko dachte einen Moment lang nach, ehe er im Brustton der Überzeugung entschied: »Aber nur heute Nacht!«
Im Eingang des Nachbarhauses hatte sich ein magerer, zerzauster Gassenjunge neben einem ebenso mageren, sogar noch unansehnlicheren Köter zur Ruhe gelegt. Verschlafen hob er den Kopf, als wir – Lili an meinem Arm, Lysander auf meiner Schulter reitend – vorbeigingen; einer Laune folgend warf ich ihm eine größere Münze zu, die er geschickt fing. Der kleine Hund knurrte leise.
»Verdammte Promenadenmischung«, zischte Lysander, ehe das Eintreffen des Wagens ihn von weiteren Schmähungen abhielt.
»Hinauf auf den Vyšehrad? Ja, was wollen Sie denn da, um die Uhrzeit?«, wunderte sich der Chauffeur, als wir im Fond des Wagens Platz genommen hatten und ich ihm unser Ziel kundgetan hatte. Augenblicklich erkannte ich, dass es ein Fehler gewesen war, Mirko zu der Unternehmung zuzulassen: Einem Pärchen sah das neugierige Dienstpersonal in der Regel weitaus größere Exzentrizitäten unkommentiert nach, als jeglichen anderen Beziehungskonstellationen. So entschloss ich
mich, wenn auch in leicht modifizierter Form, zur Wahrheit. »Wir werden den Spuk am Vyšehrad besichtigen«, erklärte ich, meinen Akzent strapazierend, um dem Bild des sensationsversessenen Reisenden gerecht zu werden.
Im Schritttempo holperten wir an einer Gruppe Nachtschwärmer vorbei, die sich vor dem Hybernia-Theater eingefunden hatte und lautstark beratschlagte, wie mit der angebrochenen Nacht weiter verfahren werden sollte. Erst nachdem wir den Pulverturm passiert hatten und den Graben entlangfuhren, verklangen ihre Stimmen allmählich.
»Den Spuk?«, nahm unser Chauffeur den Faden wieder auf. »Mit Verlaub, so einem gnädigen jungen Fräulein wollen die Herren den Spuk zumuten?«
Lilis bitteres Lächeln streifte mich. Was weiß der schon, schien sie mir mitzuteilen. Ja, was wusste er?
Seit ich mich zu den eingeweihten Kreisen in Okkulten Belangen zählen durfte, war mein Interesse am lokalen Aberglauben und all jenen Mythen und Gespenstergeschichten, die ich früher als Unsinn abgetan hatte, deutlich gestiegen, zumal sich des Öfteren mehr als nur ein Körnchen Wahrheit darin verbarg. »So furchtbar wird der Spuk schon nicht sein«, gab ich den leutseligen Toren.
»Oho!« Der Chauffeur reckte den Kopf. »Da hab’ ich aber etwas ganz anderes gehört. Ein Ungetüm treibt sich des Nachts da oben herum, eine Bestie!«
Bei diesen Worten schob sich Lili Trubics Hand zaghaft in die meine.
»Vor ein paar Jahren hat man dort den Körper eines jungen Burschen gefunden: mausetot, kein Tropfen Blut im Leib und die Haut in Fetzen gerissen!« Der Chauffeur nahm die rechte Hand vom Lenkrad, um sich hastig zu bekreuzigen. »Und erst letzte Woche wieder:
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