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Des Teufels Maskerade

Des Teufels Maskerade

Titel: Des Teufels Maskerade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlederer Victoria
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hatte ich bereits fortgeschickt, also humpelte ich mühsam die Treppen hinunter, barfuß, nur mit Hose und Morgenmantel bekleidet. Obgleich es erst wenig nach zehn Uhr war, waren im Haus bereits die Lichter gelöscht; Waldhausen und die anderen Offiziere waren mutmaßlich ausgegangen und niemand würde Anstoß nehmen an meinem gänzlich unangemessenen Aufzug.
    So stand ich nun auf der dunklen Veranda, lauschte den vertrauten Geräuschen der Nacht. Dann und wann ließ ein Windhauch die Blätter rascheln und machte die Vorgewitterschwüle etwas erträglicher, dennoch klebte mir bald der Morgenrock schweißfeucht am Leib. Müde setzte ich mich auf die schmale, steinerne Brüstung. Ich wollte rauchen, doch ich hatte keine Zündhölzer bei mir. Also verharrte ich, die Zigarette in der Hand, auf meinem Posten. Bald schon schweiften meine Gedanken ab, fast widerwillig erinnerte ich mich an eine Zeit vor allzu vielen Jahren, Hunderte schienen es zu sein, als ein sehr junger Baron zu Sirco auf den Gütern seiner Familie, erschreckend nahe dieser Stadt, einen Sommer lang jede Nacht auf einer Veranda wartend in die Dunkelheit gelauscht hatte, der Dinge harrend, die da kommen mochten.
    »Sie hier, Dejan?«, unterbrach eine Stimme, die ich erst im zweiten Moment erkannte, meine Gedanken. Ungehört war Felix Trubic an meine Seite getreten, lehnte sich nun lässig an die Brüstung.

    »Ich konnte nicht schlafen«, erklärte ich knapp. Mir entging nicht, wie Felix’ durchdringender, kühler Blick auf mir ruhte. Oh, er war kein Narr: Er ahnte, dass es seine Rückkehr gewesen war, auf die ich gewartet hatte.
    »So wie ich auch.« Noch immer sah er mich unverwandt an. »Die Hitze macht rastlos. Wir sollten die Gewitterwolken begrüßen.«
    Ich meinte ihn im schwachen Licht des Mondes lächeln zu sehen. »Wo waren Sie, Felix?«, fragte ich unvermittelt. Ich war der Spiele müde, und doch – wie bewusst war ich mir in jenem Augenblick der aufwühlenden Präsenz dieses Fremden dicht neben mir. »Ich glaube Ihnen Ihren Erzherzog nicht«, setzte ich hinzu.
    Felix lachte leise, aufreizend. »Das sollten Sie aber, Dejan«, sagte er beinahe sanft. »Gerade wenn es eine perfide Lüge wäre, so täten Sie doch besser daran, mir Glauben zu schenken. Wenn ich Ihnen etwa erzählte, Sie, Waldhausen, das gesamte Regiment, wären lediglich in diesem gottverlassenen Dorf stationiert worden, um mich in meinen Aufgaben zu unterstützen, falls ich versagen und es zu kriegerischen Ausschreitungen kommen sollte – das würden Sie mir doch gewiss ebenso wenig glauben.«
    Es klang wie ein Befehl: eine Aufforderung zu Misstrauen, wo ausnahmsweise kein Misstrauen angebracht sein mochte. Und doch schien mir die Vorstellung ebenso beunruhigend wie grotesk, dass ein ganzes Regiment von Olmütz bis nach Mostar verlegt worden war, nur um einem Spion Rückendeckung zu bieten, sollte es bei seiner Mission zum Äußersten kommen.
    In unseren Marschbefehlen war von der Niederschlagung einer dräuenden Revolte die Rede gewesen. Ein Aufstand, ein Bürgerkrieg, das Ende unserer vertrauten Ordnung? Nichts war unmöglich, in dieser heißen, dunklen Nacht.

    »Sie irren«, hörte ich mich sagen, mit rauer, fremder Stimme. »Ich glaube Ihnen. Ich begreife nicht, aber ich glaube Ihnen.«
    Felix sah zu mir auf. »Es gibt nichts zu begreifen«, sagte er, ungewohnt ernst. Gedankenverloren strich er mit den Fingerspitzen über die steinerne Brüstung. »Es ist ein Mysterium.«
    All die Fragen, all die Zweifel, die ich ihm entgegenschleudern wollte! Und doch zögerte ich. »Aber …« Ein jähes Donnergrollen übertönte meinen Einwand.
    Beiläufig berührte Felix meine Hand.
    »Ein Mysterium«, wiederholte er sehr leise, sehr dicht an meinem Ohr. »Und ich habe Ihnen schon viel zu viel verraten, mein Freund, um Sie noch gehen zu lassen.«
    Die ersten Regentropfen prasselten auf die warmen Steine der Veranda, als er mich mit großer Selbstverständlichkeit auf den Mund küsste.

    18. September 1896
     
    Ich lerne mit der Schande zu leben. Jeder neue Morgen, jeder Moment der Unaufmerksamkeit bringt die Gefahr der Entdeckung: Militärgericht und ehrlose Entlassung aus den k.u.k. Streitkräften oder die diskrete Warnung, der Revolver, die Hintertreppe aus dem Leben, auf der man heimlich, wie ein ungebetener Gast davonschleicht?

    22. September 1896
     
    Binnen einer einzigen Nacht ist die Welt, wie ich sie kannte, eingestürzt. Die sauberen Trennlinien zwischen Wirklichkeit und

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