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Des Teufels Maskerade

Des Teufels Maskerade

Titel: Des Teufels Maskerade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlederer Victoria
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hervorrufen sollte.
    »Es ist nur der Wind, der Geräusche von der Bahnlinie zu uns trägt«, flüsterte ich, als ein neuerlicher Pfiff, schriller, lauter noch als der erste, erklang.
    Felix schüttelte den Kopf. Mit einer Handbewegung bedeutete er mir zu schweigen. »Sie sind wach«, murmelte er nach langen Minuten des Wartens. Meine gepressten Erkundigungen trugen mir prompt die wenig erhellende Erklärung ein, dass jenen, die Felix so offenkundig fürchtete, die Dunkelheit
nicht behagte und sie für gewöhnlich nächtliche Unternehmungen vermieden.
    Vernunft gebot mir, ihm nahezulegen, dass wir unter den gegebenen Umständen besser umkehren und zu einem günstigeren Zeitpunkt wiederkommen sollten, aber Felix schüttelte nur den Kopf. »Dazu ist keine Zeit. Ich fürchte, sie bereiten ihren Aufbruch vor. Wir müssen uns beeilen.«
    Ich folgte ihm aus unserem Versteck, stahl mich an seiner Seite die Scheunenwand entlang. Vor dem Tor blieb Felix stehen, zog einen Beutel mit allerlei metallenen Gerätschaften, die an das Handwerkszeug eines routinierten Einbrechers erinnerten, aus seinem Jackett. Mit ruhiger, geübter Hand machte er sich sodann an dem Schloss zu schaffen. Augenblicke nur nahm es in Anspruch, ehe er die Eisenketten gelöst hatte und das mächtige Tor einen Spalt öffnete.
    Wie hätte ich mir in jenem Moment – in grauer Vorzeit scheint er jetzt zu liegen, doch sind nur Stunden verstrichen! – auch nur erträumen können, welche Mysterien sich mir eröffnen würden. Die vornehmste Pflicht eines jeden in unserer modernen Zeit sollte es sein, nach Wissen, nach Erkenntnissen zu streben, unablässig Fragen zu stellen, niemals innezuhalten. Und doch vermag ich ohne Scham zu schreiben: Ich wünschte, ich hätte sie nicht gesehen. Ich wünschte, ich hätte erkannt, dass nicht jedes Rätsel von mir zu erkunden ist. Ich wünschte, ich wäre umgekehrt.
    Stattdessen schlich ich auf Zehenspitzen hinter Felix in die finstere Scheune. Ein höchst ungewohnter Duft schlug mir entgegen, der Geruch von Staub und Gewürzen und wildem Tier.
    Leise begann Felix zu reden, in einer Sprache, die ich noch niemals zuvor vernommen hatte: einem melodischen, fremdartigen Idiom. Sogleich ertönte ein unartikuliertes Schnaufen aus der Dunkelheit, woraufhin Felix die kleine Öllampe
erneut entzündete. Langsam bewegte er sich in die Mitte der Scheune.
    Was ich dort sah, verschlug mir den Atem. Und verschlägt ihn mir auch noch jetzt, Stunden später: Im schwachen Licht der Öllampe standen zwei Käfige, in denen jeweils eine … Kreatur … saß.
    Das eine Wesen hatte in etwa die Größe eines Jagdhunds, auch wenn es etwas länger war, das andere mochte ein kräftiges Kaltblutpferd um ein paar Spann überragen. Doch in ihrer Statur glichen sie weder Pferd noch Hund. Genaugenommen glichen sie überhaupt keinem Tier, das ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Am ehesten ließ sich noch eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit exotischen Reptilien, die es in der kaiserlichen Menagerie zu bewundern gibt, feststellen. So hatten sie schuppige, schwarze Haut, lange, schmale Hälse wie die von Seeschlangen, kräftige, ebenso lange Schwänze und vergleichsweise kurze, gedrungene Beine, die in imposanten Klauen endeten.
    Und sie hatten Flügel. Dünne, pergamentartige Flügel, die sie eng an den Körper angelegt trugen.
    »Was ist das?«, wollte ich, um Fassung ringend, von Felix wissen, der immer noch mit leiser, beruhigender Stimme auf die beiden Tiere einredete.
    »Drachen«, erklärte er, während er zu dem größeren der beiden Tiere trat und sanft dessen Nüstern streichelte.
    »Es gibt keine Drachen außerhalb von Sagen und Märchen«, klammerte ich mich fest an dem letzten bisschen Wirklichkeitssinn, der mir noch blieb, und tat dabei ein paar zögerliche Schritte auf den Käfig zu.
    Statt einer Antwort ergriff Felix meine Hand; mit einer Mischung aus Faszination und Grauen ließ ich zu, dass er sie auf der Schnauze des Tiers – des Drachen  – platzierte. Ich fühlte warme, ledrige Haut unter meinen Fingerspitzen, hörte die
tiefen Atemzüge der Kreatur, sah in ihre hellen, ungemein verständigen Augen – und beschloss, die groteske Wahrheit zu akzeptieren.
    »Woher?«, stammelte ich, »und wie?«
    Gerade setzte mein Gefährte zu einer Antwort an, als erneut eine Reihe hoher, dünner Pfiffe von draußen erklang. Der kleinere der beiden Drachen hob den Kopf. Einen Moment hielt er lauschend inne, dann erwiderte er den Laut.

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