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Des Teufels Maskerade

Des Teufels Maskerade

Titel: Des Teufels Maskerade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlederer Victoria
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entlang. »Er war oberflächlich, unser jugendlicher Graf. Egoistisch, lebensgierig und nicht bereit, zu verzichten. Aber eines war er ganz gewiss nicht: ein böser Mensch.«

    Ich blinzelte. Fast hätte ich den faux-pas begangen, zu ihm zu treten und eine Hand auf seine Schulter zu legen, doch ich besann mich gerade noch rechtzeitig. Nach der jüngst vergangenen Nacht lagen Berührungen, wie unschuldig sie auch immer sein mochten, außerhalb des Möglichen.
    »Daran habe ich niemals gezweifelt«, sagte ich stattdessen; ein bescheidener Abklatsch einer freundlichen Geste, die Felix dennoch dankbar entgegennahm.
    Mit der Zeit, führte er seine Erzählung fort, stellte sich das schlechte Gewissen ein. Später noch die Scham, und zuletzt die Neugier. Was für ein Mensch mochte da heranwachsen? War sie ein fröhliches Kind, oder ein ruhiges? Erinnerte sie sich an ihre ersten Lebensjahre? Mochte sie es, wenn Schneeflocken fielen, Musik spielte, der Sommer kam? Fürchtete sie die Dunkelheit? Hatte sie eine kleine Lieblingsfreundin, ein Lieblingsspielzeug, ein Geheimnis? Über all diese brennenden Fragen konnten die blassen Briefe und Fotografien kaum Aufschluss geben. Und so trat Felix zu Lilis siebtem Geburtstag das erste Mal seit fünf Jahren die Reise nach Brünn an.
    »Sie war sehr scheu, aber als ich mich verabschiedete, musste ich ihr schon versprechen, bald wiederzukommen. Und das tat ich auch. In manchen Jahren nur ein- oder zweimal, dann wieder alle paar Wochen. Als sie vierzehn war, führte mich ein Auftrag für anderthalb Monate nach Brünn. Ich konnte kaum glauben, dass aus dem zurückhaltenden Kind so ein liebes Mädchen geworden war.«
    Irrte ich, oder zitterte die Zigarette in Felix’ Hand?
    Er führte sein Glas zum Mund, ohne zu trinken. »Ich nahm sie zu jeder Gesellschaft mit.« Ein unterdrücktes Husten. »Ich habe ihr beigebracht, Walzer zu tanzen … Sie war sehr ungeschickt.«
    All die Emotionen, die sich in jenem Moment auf seinem
sonst so beherrschten Antlitz widerspiegelten – ein Hauch von Traurigkeit traf auf Resignation, auf Wehmut, ja, auch Zärtlichkeit; eine kuriose Mischung, die ich kaum ertragen konnte. Ich senkte meinen Blick, fixierte die Narbe an seiner Kehle, die sich bei jedem Atemzug bewegte. So ruhig, so vorhersehbar.
    Zum ersten Mal in all den Jahren unserer Bekanntschaft regte sich ein erstaunlicher Gedanke in mir: Vielleicht hatte ich meinen Freund und Gefährten stets ein wenig überschätzt. Hier, vor mir, saß kein strahlender Held, nur ein Glücksritter, vom Leben gezeichnet an Leib und Seele.
    »Waldhausen?«, fragte ich unvermittelt. Damit war die bittere Klarheit dieses einen Augenblicks gebrochen.
    Felix neigte mir den Kopf zu. »Du erinnerst dich an die Umstände meiner Abreise aus Mostar.«
    Es war ein Befehl, keine Frage, und ich nickte stumm; wie hätte ich sie auch je vergessen mögen, diese Stunden der Tollheit und Furcht? Den Moment etwa, als Waldhausen mich in meinem Quartier aufgesucht, mir die Pistole mit der einen Kugel gereicht hatte. Freitod oder Kerkerhaft? Stillschweigen oder Skandal? »Die Wahl obliegt Ihnen, Sirco«, wie seine Stimme in meinen Ohren gedröhnt hatte! Yosch, der Verräter; er hatte es gewagt, mir ins Gesicht zu lachen, und erst als ich ihn gefordert hatte, war er sehr blass geworden. Und dann der Augenblick, als Felix an mir vorbeigestürzt war – nein, er würde mir nicht als Sekundant zur Seite stehen, er hätte keine Zeit, sich in den Komplikationen einer ehrengerichtlichen Affäre zu verlieren, er müsse die Drachen auf der Stelle fortschaffen, ehe Waldhausen ihn behelligen, ihn festhalten könnte. Adieu, mein Freund, gehab dich wohl. Am Ende sind wir alle allein.
    »Es war ein Fehler«, hörte ich Felix jetzt sagen, sehr ruhig und entschieden.

    Ich schrak auf. Peinlich berührt stellte ich fest, dass ich die Abschiedsworte, die Felix an jenem Herbsttag an mich gerichtet hatte, laut ausgesprochen haben musste.
    »Sei unbesorgt«, sprach er nun weiter, »ich werde nach all den Jahren nicht die Geschmacklosigkeit begehen, um Verzeihung zu bitten, dass ich dich im Stich lassen musste.«
    »Die Interessen des Kaiserreichs stehen über dem Leben eines Freundes. Ich weiß«, wiederholte ich jene Worte, mit denen Felix sich damals, nach unserem Wiedersehen in Prag, zu rechtfertigen gesucht hatte.
    »Einerlei. Als ich mit den Drachen Hals über Kopf die Flucht angetreten habe, da war ich gezwungen gewesen, alles zurückzulassen  – auch

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