Des Teufels Maskerade
einmal Glück gehabt haben. Wir werden Souvenirs sammeln, bis wir aufhören, Glück zu haben.« Er schwieg kurz. »Ich war dabei, als Marcel Renault aufhörte, Glück zu haben. Kein sehr schöner Anblick.«
»Lassen Sie die Toten ruhen, mein Herr Marchese«, schaltete sich Esther sanft ein.
Der Marchese hob seinen Cognacschwenker, trank uns zu. »Auf die Überlebenden«, sagte er entschlossen und fand damit Worte, die ich an jenem Frühsommerabend nur allzu bitter nötig hatte.
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WIEN UND PRAG 20. BIS 23. JUNI 1909
Wien, am 20. Juni 1909
Dejan,
nach intensiver Suche gibt es nun endlich einen Teilerfolg in Sachen Lili Trubic zu vermelden – gelang es uns doch, bewusste junge Dame heute Abend ausfindig zu machen! Allerdings zeigt sie bisher keinerlei Ambitionen, mit uns nach Prag zurückzukommen. Und das aus gutem Grund, auf den ich später zu sprechen kommen werde.
Vorerst lass Dir berichten, was sich in den letzten beiden Tagen hier zutrug: Mehrheitlich verbrachten Mirko und ich sie damit, mit viel Intuition und wenig System all jene Herbergen und Hotels abzusuchen, in denen ein alleinreisendes, junges Mädchen mit begrenztem Budget Quartier finden konnte. Ich hätte die Unternehmung mehrmals beinahe zum Fehlschlag erklärt und abgeblasen, wäre Mirko nicht von einer wunderlichen Besessenheit befallen gewesen, die Gesuchte ausfindig zu machen. Er scheute weder Mühen noch Anstrengungen und trieb mich stetig weiter.
Kurz, heute Nachmittag fanden wir in einer nicht völlig repräsentablen Pension heraus, dass sich tatsächlich eine Elisabeth Trubic am Morgen des 17. Juni ein Zimmer gemietet hatte. Gott segne das unschuldige Geschöpf, dass es gar nicht erst auf die Idee gekommen war, sich einer falschen Identität zu bedienen!
Die Pensionswirtin Frau Roth, eine recht patente und umgängliche Person (vor allem, nachdem Mirko sie auf ein paar schnelle Achterln in der Weinstube um die Ecke eingeladen und sie in beinahe schon lächerlichem Maße mit Komplimenten überschüttet hatte), schien nichts dagegen zu haben, ihren neuen, jungen Kavalier mit jeglicher Information, die sie über das Fräulein Trubic hatte sammeln können, zu versorgen.
Alsbald erfuhren wir (ich einmal mehr in der Rolle des exotischen, schweigsamen Haustiers, das wie eine Aktentasche unter den Arm geklemmt wurde und zu Pfauchen hatte, wann immer Frau Roth sich anmaßte, mir den Kopf zu kraulen), dass die kleine Trubic sich
bisher kaum in ihrem Zimmer, welches sie für zwei Wochen im Voraus bezahlt hatte, aufgehalten hatte. Ferner, dass sie angeblich Verwandte in Wien besuchte, woran unsere Informantin, kluge Frau, die sie war, natürlich nicht glauben konnte; dass sie keinerlei Konversation mit der Wirtin oder anderen Pensionsgästen suchte, ja, dass ihre einzige Interaktion mit der guten Frau Roth bisher aus der heute Mittag gestellten Frage, wie sie auf dem schnellsten Wege mit der Straßenbahn zum Breitenseer Lichtspieltheater gelangen konnte, bestanden hatte.
Nachdem Mirko wenig Neigung zeigte, tatenlos auf die Rückkehr unserer Lili zu warten, erklärte ich besagtes Lichtspieltheater zur nächstliegenden Örtlichkeit, um herauszufinden, was die junge Dame denn so überstürzt nach Wien getrieben hatte.
Wir kamen gerade rechtzeitig zur Abendvorstellung. Obgleich ich dem Fräulein im Zuge meiner Observationen des Palais Trubic nur flüchtig begegnet war, fiel es mir doch nicht weiter schwer, sie im Publikum auszumachen. Sehr allein, beinahe etwas verloren, saß sie in einer der vordersten Reihen des gut gefüllten Theaters. Die Hände im Schoß verschränkt, den Kopf hoch erhoben, wollte sie sich wohl den Anschein geben, die neugierigen Blicke der Umsitzenden kümmerten sie ebenso wenig wie die Pfiffe und die vorhersehbaren derben Scherze, die zwei halbwüchsige Burschen ihr zuteilwerden ließen. Wobei um der Gerechtigkeit willen angemerkt sei, dass sie in ihrem hellen Reisekleid, mit hochgeschlossenem Jäckchen und mit ihrem Hut und Schleier einen etwas sonderbaren Kontrast zu der übrigen Klientel des engen, verrauchten Lichtspielhauses bot. Eine einsame Klosterschülerin an einer Jahrmarktsbude hätte nicht deplatzierter wirken können!
Unglücklicherweise hob sich gerade, als ich Mirko dazu auffordern wollte, das Mädchen anzusprechen, der schäbige Vorhang. Der Klavierspieler begann zu klimpern und uns blieb keine andere Wahl, als schier endlose Stunden bewegter Bilder über uns ergehen zu lassen, ehe wir mit Lili Trubic in
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