Des Teufels Maskerade
Wortlaut – wenn ich zitieren darf – »Trubic Komplikationen. Waldhausen hatte Dokumente. Komme bald nach Wien«, kann ich bestenfalls als nicht sonderlich erhellend bezeichnen. Zumal mir dünkt, dass die gesamte Existenz Deines unglücklicherweise so hochverehrten Grafen Trubic schon immer eine einzige Komplikation war – so sehr, dass ich als geneigter Beobachter beinahe Mutwillen dahinter vermute.
Doch ich schweife ab: Im Grunde genommen wollte ich an dieser Stelle lediglich zu Papier bringen, dass ich ausgesprochen froh sein werde, Dich zu sehen. Und das hat in diesem Fall sogar einen Grund, der über freundschaftliche Empfindungen hinausreicht.
Wie Du bereits an der Schrift bemerkt haben wirst, steht mir heute nicht Mirko zum Briefdiktat zur Verfügung. Lili, das selbstlose Geschöpf, hat sich an seiner statt erbarmt und leistet mir nun Skribentendienste, während Mirko mutmaßlich durch Wien streift, auf der Suche nach einem Kaffeehauszirkel, der ihm den jungen Bohemien abnimmt. Sein Verhalten in den vergangenen Tagen als erratisch zu bezeichnen, wäre eine ebenso schamlose Untertreibung, wie Schönerer »etwas unangenehm« zu finden; ja, um offen zu sprechen, ich mache mir ernstlich Sorgen um Mirko.
Zufällig weiß ich, dass etwas vorgefallen ist: Während der Fahrt nach Wien las er unentwegt in etwas, das er wenig auffällig hinter seiner Zeitung zu verstecken suchte. Darüber hinaus bestand seine erste Tat in Wien darin, einen Brief aufzugeben und höchst ungehalten zu reagieren, als ich ihn auf seine dringliche Korrespondenz
ansprach. Seither gibt er sich äußerst schweigsam und abwesend, errötet (oder erbleicht) ein jedes Mal, wenn Dein Name fällt, und lebt ganz allgemein seine unvorteilhaftesten Charakterzüge aus. Dass ich ihn überhaupt dazu gebracht habe, den letzten Brief an Dich niederzuschreiben, hatte all meiner nicht unbeträchtlichen Überredungskünste bedurft.
Dejan, wenn Du diese Zeilen liest, so sei Dir bewusst, dass lange Grübeleien und eine schlussendlich als hoffnungslos aufgegebene Suche nach den richtigen Worten ihnen voranging: Aber, um den populären Gemeinplatz zu strapazieren, es gibt Sachverhalte, die zu schildern sich niemals die rechten Worte finden lassen.
Du und ich haben, obwohl wir einander so gut kennen, in all den Jahren unserer Freundschaft so manches Thema tunlichst vermieden: Du hast mich niemals gefragt, wie es kam, dass ich als Mister Crowleys Spielzeug endete. Ich habe mich nie danach erkundigt, worum es in dem Duell mit Trubic wirklich ging.
Dennoch haben wir beide unsere Vermutungen und Thesen aufgestellt, und manche unliebsamen Wahrheiten sind nun einmal offenkundiger als andere, auch wenn man es selbst nicht wahrhaben möchte.
Mirko liebt Dich wie einen Vater, Dejan. Er verehrt Dich als Held, er bewundert Dich und müht sich, Dich zu imitieren. Er ist jung und formbar – und er hat seinen Platz in dieser Welt noch nicht gefunden. Ich bitte Dich inständig, vergiss das nicht.
Um diesen Brief auf eine erfreulichere Weise zu schließen: Lili (der es äußerst missfällt, hier über sich selbst schreiben zu müssen) hat sich bereiterklärt, zu Mirko und mir ins »Continental« zu ziehen. Außerdem schwört sie, wenigstens so lange in Wien zu bleiben, bis Du angekommen bist. Sie zeigt sich einer vernünftigen Unterredung mit dem Baron Sirco nicht mehr völlig abgeneigt. (Auch wenn ich hinzufügen möchte, dass auch Sie, Baron, mich nicht umstimmen werden können! L. T.)
Dass ich keine Lust haben werde, Dich vom Bahnhof abzuholen, soll keineswegs bedeuten, dass ich unser Wiedersehen weniger wertschätze.
Lysander
AUS DEN AUFZEICHNUNGEN BARON SIRCOS, WIEN, 26. JUNI 1909
Der Benz und ich reisten mit der Bahn nach Wien. Obwohl es früh am Morgen war, hatte die Verladung meines Automobils am kürzlich vollendeten Franz-Josephs-Bahnhof eine kleine Zuseherschar angezogen. Während das Bahnhofspersonal und eine Gouvernante samt Zöglingen vor allem die Zerstreuung dankend entgegennahmen, stand einem Handlungsreisenden der Traum von der großen Welt überdeutlich ins Gesicht geschrieben.
Ich selbst hielt mich ein wenig abseits und zwang mich, eine Gelassenheit zur Schau zu tragen, die ich nur selten empfand, wenn Unbefugte mit meinem Wagen hantierten. Wie leicht konnte man unter den schmählichen Verdacht geraten, um materielle Werte zu bangen, wenngleich die Dinge doch vielfach komplizierter standen!
Nur wenige Wochen nach meinem Unfall
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