Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Des Teufels Maskerade

Des Teufels Maskerade

Titel: Des Teufels Maskerade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlederer Victoria
Vom Netzwerk:
zur Centrale?
    Etwas zog an meinem Hosenbein, dann hörte ich ein wohlvertrautes Keckern: Gut verborgen kauerte Lysander unter der Bank vor mir. Unter seinen Pfoten blitzte etwas, das wie ein Briefumschlag aussah.
    »Was ist das?«, entfuhr es mir anstelle einer Begrüßung.
    Glücklicherweise ließ sich Lysander nicht zu einer Antwort hinreißen. Kommentarlos zwängte er sich unter der Bank hervor. Ich bückte mich, um den Brief und meinen Kameraden aufzulesen.
    »Igitt, er hat eine Ratte!«, stellte eine Frau kreischend ihr Unwissen unter Beweis; mehrere Köpfe wandten sich zu uns um, und ich suchte mein Heil in einer raschen Flucht, ehe ich des Gotteshauses verwiesen werden konnte.
     
     
    »Und?«, flüsterte Lysander, den ich mir ziemlich ungeschickt unter meinen heilen, rechten Arm geklemmt hatte, kaum dass wir in eine etwas abgelegenere Gasse gebogen waren.
    »Nichts Wesentliches«, fasste ich die restlichen Ereignisse der Nacht zusammen.
    Lysander blinzelte. »Es tut mir leid, dass ich zu langsam war. Ich glaube, sie hat mich schon gehört, während ich noch versuchte, mich unter der Tür zum Glockenturm durchzuschieben  – was gar nicht so einfach war, auch der Rückweg nicht: Um bei der Wahrheit zu bleiben, ich war ein paar Minuten lang von echter Sorge erfüllt, was mit mir geschehen würde, sollte der Mesner am Morgen einen Otter vorfinden, der unter der Tür feststeckte.«
    Wir warteten stumm ab, bis ein Passant aus unserer Hörweite entschwunden war.

    »Was hat es mit dem Brief auf sich?« fragte ich knapp.
    »Wusste ich doch, dass du meinen dramatischen Abenteuern nichts abgewinnen kannst. Nur der Brief interessiert dich.« Er gähnte ausgiebig. »Du verzeihst, ich habe kaum geschlafen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie unbequem so eine Kirchenbank längerfristig ist. Und dann musste ich natürlich auch vorsichtig sein, durfte nicht allzu fest einschlafen; bei jedem Geräusch bin ich aufgeschreckt …«
    »Ich leide mit dir«, unterbrach ich ihn. »Der Brief?«
    »Gefunden im obersten Stockwerk des Glockenturms. An eine Dame namens Milena adressiert, bei welcher es sich mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit um unsere Vilja handelt, der aufgrund ihres überhasteten Aufbruchs keine Zeit blieb, ihre Korrespondenz an sich zu nehmen. Verfasst in dem schwülstigsten Tschechisch, das die Menschheit jemals las.« Er zwinkerte mir zu. »Und den Rest wirst du bestimmt lieber selbst herausfinden.«

     
    24. Juni anno 1909, Prag
     
    Milena, meine Liebe, meine Teure, meine Angebetete, ich bitte Dich – bitte Dich innigst – nein, ich flehe Dich an, mir zu glauben: Es ist mir bewusst, was ich von Dir verlange. Wer, wenn nicht ich, wüsste, was es bedeutet, den Unschuldigen zu töten. Und doch bleibt mir, bleibt uns kein anderer Weg. Früher oder später wird sich ihnen die Spur offenbaren, nach der sie so dringend suchen. Weshalb so lange warten? Nein, was geschehen muss, muss gleich geschehen, meine geliebte Milena! Unser aller Schicksal lege ich in Deine Hände, mit der Bitte, dass nicht Furcht, nicht falsche Moral Deine Handlungen leiten mögen.
    Folge ihm weiterhin. Lasse es wie einen Unfall aussehen. Und komme dann zurück zu mir.
    Auf ewig Dein, Dir treu ergeben, in liebender Verbundenheit
     
    L.

9
WIEN 29. JUNI 1909

AUS DEN AUFZEICHNUNGEN BARON SIRCOS, WIEN, 29. JUNI 1909
    »Das Beste an diesen hübschen Brieflein«, begann Lysander, kaum dass ich die wenigen Zeilen verlesen hatte, »ist natürlich nicht die Manie mancher Menschen, ihre schändlichen Pläne säuberlich zu Papier zu bringen – obwohl ich nicht bestreiten will, dass es uns in diesem Fall entgegenkommt –, sondern die Schlussformel.« Er prustete in seine Teetasse.
    Dr. Rosenstein, in dessen Bureau wir uns einmal mehr eingefunden hatten, während wir auf die Erlaubnis warteten, unsere Befragung der Vilja weiterzuführen, tauchte aus den Untiefen seiner enormen Kleidertruhe auf, in der er augenscheinlich ein absonderliches Sortiment an Gegenständen lagerte (bisher hatte er daraus einen französischen Unterhaltungsroman, Munition für seine Pistole sowie eine Zigarrenkiste zutage gefördert). »Als Student kannte ich ein Mädchen, die bestand auf solche Verabschiedungen. Wenn ich es einmal vergaß, zog sie sogleich meine Liebe zu ihr in Zweifel.« Zufrieden reichte er mir die Zigarren und wühlte weiter nach Streichhölzern.
    »Und, wie hat es geendet?«, erkundigte sich Lysander interessiert, Teetropfen in den

Weitere Kostenlose Bücher