Des Teufels Maskerade
werde: ›Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ungefragt Ratschläge erteilen‹, meinte er, ›aber wenn ich mich doch zu jenen penetranten Existenzen zählen müsste, würde ich Ihnen raten, laufen Sie, so schnell Sie können, und kommen Sie nie wieder zurück!‹ Nicht unbedingt das, was man an seinem ersten Arbeitstag von einem Mann wie Graf Trubic hören möchte.«
Langsam nickte ich, widerstand aber der Versuchung, Rosenstein nach den Umständen von Felix’ Rückzug aus dem Dienst für Kaiser und Heimatland zu fragen. Obgleich angesichts des Alkoholkonsums des Doktors die Chancen gut gestanden hätten, wenigstens die gängigen Gerüchte zu erfahren. Ich schloss die Augen. Ich hatte Felix’ Narben gesehen. Ich hatte gehört, wie er Lysander und mich um Hilfe bat. Ich hatte miterlebt, wie er mit Routine und schauspielerischem
Geschick über Schwäche und Erschöpfung hinwegzutäuschen versuchte, und entschied, dass es Mysterien gab, die ich nicht ergründen wollte.
Mühsam erhob ich mich von dem Diwan, tat ein paar Schritte durch die kleine Bureaustube, um meine schmerzenden Muskeln zu lockern. Dass Dr. Rosenstein daraufhin zu seinem Schreibtisch stürzte und einen Stapel Papiere an sich nahm, erheiterte mich trotz meiner Erschöpfung. »Sie verzeihen. Es lag nicht in meiner Absicht, Geheimdokumenten zu nahe zu kommen.«
Dr. Rosenstein errötete wie ein Schuljunge bei pikanter Lektüre. »Keine Geheimdokumente, nein«, sagte er, etwas zu rasch. »Nur Übersetzungen, mit denen ich gegenwärtig beschäftigt bin.« Mit dem Zeigefinger strich er seinen Schnurrbart entlang. »Übersetzungsversuche«, präzisierte er.
Kindische Freude am bösen Spiel veranlasste mich, ihm meine Hilfe anzutragen.
»Oh, sehr freundlich, Baron. Sehr freundlich.« Er hatte die Papiere in der voluminösen Truhe, die neben Diwan und Schreibtisch das einzige weitere Möbelstück im Zimmer darstellte, verstaut, und schabte nun ohne ersichtlichen Grund mit einem Papiermesser an deren Kante herum. »Aber es handelt sich um eine diffizile Angelegenheit, sehr heikel. Eine sehr eigenartige Sprache, verdient die Bezeichnung kaum …« Er verstummte.
»Ah, drachisch meinen Sie vermutlich«, riet ich, ohne genau zu wissen, weshalb mir plötzlich daran lag, Eindruck bei dem jungen Mann zu hinterlassen.
Einen Sekundenbruchteil starrte Dr. Rosenstein mich mit blankem Entsetzen an, dann hatte er sich wieder gefangen.
»Ich nehme an, Graf Trubic hat Ihnen davon erzählt?« Er schien mein Schweigen als Zustimmung zu nehmen und entspannte sich. »Ja, die Centrale arbeitet mit zwei Drachen –
schon seit vielen Jahren.« Er räusperte sich. »Versucht zu arbeiten, vielmehr. Leider gibt es immer noch größere Schwierigkeiten, nicht nur in der Verständigung. Besonders, so hat man mir erzählt, seit Graf Trubic fort ist. Zu ihm hatten sie wohl etwas Vertrauen.«
Vertrauen … Die Nacht, die Ungeheuer, ein geflüsterter Befehl. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte auch ich mich zu den unglücklichen Kreaturen gezählt, die Felix Trubic vertrauten.
Irgendwo schlug eine Uhr sechs.
»Allmählich sollte die Kirche zur Morgenmesse geöffnet werden«, wechselte Dr. Rosenstein dankenswerterweise das Thema.
Still und düster, nur erhellt von einigen wenigen Opferkerzen, war es im Innern der Kirche zu St. Ruprecht. Obgleich die Morgenmesse erst in einer halben Stunde beginnen sollte, hatten sich schon einige Gläubige eingefunden: In den wenigen Bankreihen knieten drei Damen in den unterschiedlichen Stadien der Vergreisung sowie ein Mädchen mit hochmütigem Profil. Immer wieder fühlte ich, wie neugierige, missbilligende Blicke mich streiften. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Ein ziemlich übernächtigtes Subjekt in zerknittertem dunklem Anzug und Verbandszeug durfte nicht hoffen, irgendwo Vertrauen zu erwecken.
Langsam und leise durchschritt ich das kleine Kirchenschiff. Vorn, in unmittelbarer Nähe zum Altar, lagen noch einzelne Scherben des zerbrochenen Fensters, ich fand jedoch keinen Hinweis auf Lysanders Anwesenheit und so setzte ich mich wieder in die vorletzte Bankreihe. Allmählich begann sich die Kirche zu füllen, ein Messdiener eilte geschäftig umher. Ich schielte verstohlen zum Aufgang des Glockenturms: Wenn mein alter Freund beschlossen hatte, sich dort oben zu verbergen,
würde ich wenigstens das Ende der Messe abwarten müssen, ehe ich nach ihm suchen konnte. Oder hatten wir einander verfehlt, und er war schon unterwegs
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