Des Teufels Maskerade
sich die verbliebenen Passanten: Wenn zwei anrüchige Gestalten im Begriff waren, ein bildhübsches Mädchen ganz offenkundig gegen dessen Willen davonzuschleppen, verspürte der eine oder
andere den Drang zum Eingreifen – selbst wenn es sich nun um eine auferstandene Tote handelte.
Einmal mehr erhob Dr. Rosenstein die Stimme. »Bleiben Sie zurück! Das ist eine polizeiliche Aktion! Zurücktreten, sagte ich!«
Oben, auf dem Glockenturm, meinte ich Lysander fluchen zu hören. Einen flüchtigen Gedanken verwendete ich darauf, ob Freundschaftspflicht mich zwang, zunächst Lysander zu befreien, ehe ich mich dem Mysterium unserer Gefangenen zuwenden durfte. Doch mein alter Gefährte hatte weiß Gott schon Nächte in übleren Lokalitäten als einer baufälligen Kirche zugebracht.
»Zeit zum Aufbruch, Baron«, zischte mir Rosenstein überflüssigerweise zu.
Und dann rannten wir.
»Stunden.« Aus dem Blick, mit dem Direktorin Blum uns bedachte, sprach reine Verachtung. »Es wird Stunden in Anspruch nehmen, bis ich die unterschiedlichsten offiziellen Stellen beruhigt habe.«
Ihre Hände gruben sich in das Fell der Bulldogge, die sich zufrieden schnarchend auf ihrem Schoß eingerollt hatte. »Ganz abgesehen davon, dass Sie mit Sicherheit in die lokale Fama eingehen werden: eine Schießerei, ein Mädchen entführt, dazu etwas wunderliches Beiwerk.« Sie schüttelte den Kopf. »Stümperei«, schleuderte sie dem unglücklichen Dr. Rosenstein und mir entgegen. »Und was haben Sie mit dem ganzen Theater erreicht?«
Rosenstein und ich tauschten müde Blicke. Die letzten beiden Stunden hatten wir mit der Befragung der Vilja zugebracht, doch bisher war es uns nicht einmal gelungen, ihren Namen zu erfahren.
»Vielleicht könnte man Mirko zu ihr bringen«, überlegte ich laut. Ihm gegenüber hatte sie sich zwar nicht sonderlich verständlich, aber doch schon einmal gesprächsbereit gezeigt.
Judith Blum nickte. »Das werden wir auch, gleich am Morgen. Bis dahin …«
Ich nahm Entlassung und vorläufige Niederlage schweigend hin; ein Blick auf meine Taschenuhr offenbarte mir, dass diese Morgenstunden nicht mehr in allzu weiter Ferne lagen.
Rosenstein, der mir nach draußen gefolgt war, rieb sich die Augen. »Würden Sie mir noch ein wenig Gesellschaft leisten? Sofern Richter, der alte Säufer, nicht wieder seinen diebischen Neigungen nachgegeben hat, finden sich zwei Flaschen exzellenten schottischen Whiskys in meinem Schreibtisch.«
Als ich eine Weile später (nachdem Rosenstein die kleine Wunde an meinem Hinterkopf gesäubert und mir heiter versichert hatte, ich dürfe einen Schädel wie ein Granitplateau mein Eigen nennen) mit einem Glas Whisky in der Hand ausgestreckt auf dem Sofa in seinem Arbeitszimmer lag, regten sich meine Lebensgeister allmählich wieder.
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht in allzu große Schwierigkeiten gebracht«, entschuldigte ich mich.
Rosenstein grinste. Zum ersten Mal in unserer kurzen Bekanntschaft sah er beinahe gelöst aus. »Und selbst wenn. In der Centrale hält mich ein jeder, inklusive des Portiers, für einen …«, sein Lächeln wurde breiter, »… Menschen mit überschaubaren Begabungen.« Nachdenklich tippte er mit einer Schreibfeder gegen sein prominentes Kinn; ein schwarzer Fleck blieb zurück. »Ein Jammer.«
Inzwischen interessierte mich der junge Arzt so sehr, dass ich erfahren wollte, wie er zu der Centrale gekommen war.
»Wie solche Wendungen passieren: Man lernt die falschen
Leute kennen. Das war gegen Ende meines Studiums, und so recht interessiert hat mich eine medizinische Karriere nie.« Er umrundete den Schreibtisch, füllte mein Glas erneut.
»Und wie war es bei Ihnen, Baron, wenn ich fragen darf? Wie wird man Detektiv in Okkulten Angelegenheiten?«
Ich erwiderte sein Lächeln. »Man trifft Leute«, antwortete ich träge. »Ich nehme an, Sie kennen Graf Trubic?«
Rosenstein lehnte sich gegen seinen wuchtigen, penibel aufgeräumten Schreibtisch. »Einmal hatte ich das Vergnügen. Sie müssen wissen, mir war die zweifelhafte Ehre zuteil, gerade an jenem Tag in den Dienst einzutreten, an dem Graf Trubic seinen Abschied nahm.«
Die Eröffnung, dass Felix schon so lange nicht mehr für des Kaisers Okkulten Spionagedienst arbeitete, ließ mich aufhorchen.
Rosenstein nagte an seiner Unterlippe. »Ich bin ihm damals im Bureau des Generals begegnet. Er war sehr freundlich zu mir, aber zum Schluss sagte er etwas, das ich mein Lebtag nicht vergessen
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