Des Teufels Maskerade
unbeirrbar ihren »Onkel« nannte, stand ihr näher als ich.
Im Torbogen des Pulverturms verabschiedeten wir uns.
»Pass gut auf dich auf«, bat ich, erfüllt von plötzlicher Zärtlichkeit.
Ganz vorsichtig, mit den Fingerspitzen, berührte Esther die Wunde an meiner Stirn. »Aber ja«, flüsterte sie, »was wird mir schon passieren.«
Oben im Salon erwartete mich eine häusliche Idylle: Lysander, auf dem Sofa ausgestreckt, in den Leitartikel des gestrigen Tagblatts vertieft; dann Pavel, der geschäftig durch die Wohnung eilte, mit Gepäckstücken hantierte und Fragen beantwortete, die ihm zu stellen ich noch nicht die Zeit gefunden hatte (»Nein, Herr Baron, vom Graf Trubic ist kein Brief gekommen, auch kein Telegramm, gar nichts«). Und schließlich Mirko, der darauf bestanden hatte, seinen Koffer selbst auszupacken, und nun, die Tür zu seinem Schlafzimmer halb geöffnet, auf seinem Bett saß und in das trostlose Durcheinander aus Kleidung und Kleinigkeiten starrte, das sich vor ihm ausbreitete. Probeweise hatten wir während der Bahnfahrt versucht, eine gesittete Konversation zu führen, die aus mehr bestand als aus unzusammenhängenden Sätzen, Achselzucken und kühlen Blicken: Und es war uns gelungen, solange wir über das weitere Schicksal meines demolierten Benz gesprochen hatten. Aber kaum hatte ich das Thema auf die Vilja und unseren Fall gebracht, kaum war der Name Felix Trubic gefallen, da war Mirko erbleicht und – die obligatorische Entschuldigung von der kurzen Nacht murmelnd –, hatte vorgegeben, in tiefen Schlaf zu sinken. So war er der Unterhaltung mit einem verderbten Subjekt wie mir entkommen. Lysander hatte auf jeglichen Kommentar verzichtet und war ebenfalls in uncharakteristisches
Schweigen verfallen, was mich allein, mit einer Flut unerfreulicher Gedanken zu meiner Existenz im Allgemeinen und unserem gegenwärtigen Fall im Besonderen, zurückgelassen hatte.
»Ich gehe aus«, verkündete ich unvermittelt.
Lysander hob den Kopf. »Trubic?«, erkundigte er sich schläfrig, während er umständlich mit Pfoten und Schnauze, und ohne Zuhilfenahme der Zähne, die Seiten der Zeitung umzublättern suchte.
»Trubic«, bestätigte ich. Es gab keinen Grund für eine weitere Verzögerung. Ich musste erfahren, von welchen »weiteren Komplikationen« Felix in seinem Telegramm gesprochen hatte.
»Möchtest du, dass ich dich begleite?«, fragte Lysander.
Ich schüttelte den Kopf. Es war mir mit einem Mal wichtig, Felix vorerst allein zu begegnen. Ich wartete, bis Pavel geräuschvoll und gewichtig, Mirkos Koffer unter dem Arm, an uns vorbeigehastet war, ehe ich mich zu meinem alten Gefährten Lysander hinabbeugte. »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du Mirko Gesellschaft leisten könntest«, murmelte ich zum Abschied.
Mit einem leisen Schnaufen stimmte er zu.
»Du siehst gut aus, Dejan. Verwegen.« Felix Trubic umrundete mich mit kritisch erhobener Augenbraue, als nähme er ein Pferd oder einen neuen Dienstboten in Augenschein. »Ich war immer schon der Meinung, dass kleinere Verletzungen einem Gesicht erst Charakter verleihen.«
Felix selbst sah – wenn möglich – noch müder, noch abgekämpfter aus, als bei unserem letzten Treffen vor wenigen Tagen. Ziellos schlenderte er auf und ab, nahm bald diesen, bald jenen Zierrat zur Hand. Statt mich in der Bibliothek zu empfangen, hatte er mich in eines der düsteren Paradezimmer im ersten Stock geführt, wo zwischen schwermütigen Landschaftsgemälden und polierten Zierwaffen die Porträts halbvergessener
Ahnen auf uns herabblickten; ein Abglanz jenes fordernden Hochmuts, der mir an Felix so wohlbekannt war, schien sich auch in ihren Gesichtern zu spiegeln.
»Wie schade, dass Sir Lysander dich heute nicht begleitet«, sprach Felix weiter. »Es wäre mir ein dringendes Anliegen, die Hintergründe seines hochinteressanten Telegramms zu diskutieren.« Er ließ sich an dem Piano in der Ecke nieder und schlug eine Taste an.
»Du hast geschrieben, neue Schwierigkeiten seien aufgetreten«, erinnerte ich ihn ruhig. »Möchtest du mir nicht davon erzählen?«
Abrupt ließ Felix den Deckel über der Tastatur zufallen. »Nein«, erklärte er einen Augenblick später mit seinem strahlendsten Lächeln. »Nicht jetzt. Dr. Weyr mit Gemahlin und Töchterschar kommt zum Tee.« Er konsultierte seine Taschenuhr. »Wenn man die fast unhöfliche Pünktlichkeit des alten Weyrs in Betracht zieht, sollten sie eigentlich schon eingetroffen sein.« Er
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