Des Teufels Maskerade
schwieg. Ein vergilbter Zeitungsausschnitt an der Wand stach mir ins Auge. Es war ein Leitartikel zu der Ermordung des Kronprinzen; im Licht der flackernden Gaslampe misslang es mir, viel mehr als die Überschrift zu entziffern.
»Langweile ich Sie denn, Baron?«, erkundigte sich Milena freundlich.
»Wenn Sie mir schon nichts erzählen wollen, so lassen Sie mich wenigstens Ihren Ring sehen«, bat ich. »Den, mit dem Fuchs.« Und planvoll setzte ich hinzu: »Es sei denn, er ist von so großer Bedeutung für Sie, dass Sie ihn selbst für einen Augenblick nicht abnehmen möchten.«
»Und diese Bedeutung wüssten Sie gern, Baron.« Versonnen strich Milena mit dem Zeigefinger der linken Hand über den kleinen Ring. »Ein Geheimnis, Baron, Sie vertun nur Ihre Zeit.«
Sie war aufgestanden und dicht an das Gitter getreten. Ihre altmodischen Schnürstiefel hatte sie ausgezogen; zum ersten Mal fiel mir auf, wie klein sie war, wie aufrecht sie sich hielt.
»Aber soll ich Ihnen ein anderes Geheimnis verraten?«, flüsterte sie.
Unwillkürlich tat auch ich einen Schritt an die Zellentür.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, hielt sich an den Gitterstäben fest. »Ich würde Sie wesentlich lieber mögen, wenn Sie nicht die Dreistigkeit besessen hätten, auf mich zu schießen.«
Eine seltsame Vorhaltung aus dem Mund eines unsterblichen Geschöpfs, das erst am Vortag versucht hatte, meinen Tod zu erwirken. Und dennoch wollte ich mich entschuldigen. »Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie verletzen zu können.«
Ihre tiefen, dunklen Augen fixierten mich. »Was wissen Sie schon, Baron«, sagte sie sanft. »Ich trage immer Weiß«, fuhr sie zusammenhangslos fort. »Weiß, wie das Totenhemd, das mir einst zugestanden wäre.« Sie streckte ihre verstümmelte Hand aus, sacht streiften ihre eiskalten Finger in gespenstischer Liebkosung die meinen; ich bedurfte meiner gesamten Selbstbeherrschung, um nicht unwillkürlich zurückzuweichen.
»Sie haben mich daran erinnert, wie es war zu sterben«, flüsterte sie.
Ich musste mich zu ihr beugen, um sie verstehen zu können, so leise war ihre Stimme geworden.
»Nur dauerte es damals so viel länger. Er hat mir seinen Dolch in den Bauch gestoßen. Dann ließ er mich verbluten.« Ihre Maske fiel und ein bloßes, verletzbares Gesicht mit Augen erfüllt von namenlosem Entsetzen schimmerte für einen Moment durch Vergangenheit und Pose – und verschwand.
»Wer?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich könnte Ihnen meine Narben zeigen, wenn Sie möchten.«
Es klang nicht kokett, nicht nach einem Verführungsversuch, um sich Freiheit zu erkaufen. Dennoch fühlte ich, wie das Blut in meinen Adern raste. Bilder und Illusionen von diesem schönen, diesem toten Leib stiegen in mir auf; was mochte es bedeuten,
ihre zarte, leblose Haut tatsächlich zu berühren? Grauen überkam mich, und ich würgte bittere Galle hinunter.
»Du lieber Himmel, nein, Baron.« Milena schien meine Gedanken gelesen zu haben, sie lächelte wissend. »Es verwundert, ja, es kränkt mich, dass Sie mich für diese Art von Frau halten.«
Schritte ertönten auf dem Gang, und leise Stimmen. Milena ließ meine Hand in dem Moment los, als Hoff die Tür aufstieß und polternd den Gefängnistrakt betrat.
»Ich hoffe, Sie wussten Ihre Zeit zu nutzen«, grüßte mich Rosenstein.
Obgleich ich kaum eine halbe Stunde allein mit der Vilja verbracht hatte, tauchte ich wie aus einer Ewigkeit auf.
»Leben Sie wohl«, sagte Milena sanft. »Sie werden mich nicht dazu bringen, zur Verräterin zu werden. Und dennoch wird man mich eines Tages gehenlassen. Denn die Zeit steht auf meiner Seite, mein Freund.«
Neben einem missvergnügten Lysander, den der temporäre Ausschluss von den Ermittlungen verärgert hatte, erwartete uns in Dr. Rosensteins Bureau eine weitere, triste Gestalt: Mirko. Zwischen Büchern und Papieren kauerte er auf dem Sofa, den Blick starr auf seine Schuhspitzen gerichtet. Er sah müde aus, und sehr jung – jünger noch als der Knabe damals in Brünn, der so geschickt Passanten um ihre Portemonnaies zu erleichtern wusste.
Lysander sprang auf mich zu und kam kurz vor meinen Stiefelspitzen schlitternd zum Stehen. »Jetzt!«, fauchte er, an Mirko gewandt. »Jetzt kannst du zwischen deinen beiden Möglichkeiten wählen: Entweder du gehst zur Fremdenlegion und trittst mir fortan nie wieder unter die Augen, oder du entschuldigst dich.«
Dr. Rosenstein, der an meiner Seite in der Tür stand, räusperte sich.
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