Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
was das größte Glück war: Das Töchterchen, welches Luise getauft und Liesl genannt wurde, überlebte. Es gedieh sogar prächtig.
Man lebte weitere Jahre in einer Ruhe, von der ein jeder wusste, dass sie irgendwann ein Ende haben würde. Denn der Krieg wütete weiter, wollte nicht aufhören und fand immer wieder auch Einlass in Bayern – durch Rekrutierungen, verstreute Marodeure, in Form von Sondersteuern und Kontributionen. Man befand sich in einem Zustand des Wartens. Und das Warten hatte im Jahre 1646 ein Ende.
Die Schweden kehrten zurück und brachten die Franzosen mit. Wieder begann das Plündern und Morden. Und als sei das nicht genug, verordnete der Landesherr Maximilian – er lebte und regierte noch immer -, dass seine Bevölkerung schwarze Erde hinterlasse, dass sie dem Feinde weder Nahrung noch Reittiere oder andere Güter freiwillig oder unfreiwillig zur Verfügung stellen sollte.
Mühlen wurden zerstört, Vieh und Getreide verschleppt, und die armen Leute standen durch die »schützende« Hand ihres Landesherren nun ärmer da als zuvor. Das Einzige, was sie dem Feinde nun noch überlassen konnten, war ihr Leben, und das nahm er ihnen gerne.
Andreas Moosberger entschied unter diesen Umständen, so wie viele andere es vor ihm getan hatten und auch jetzt taten, in die Berge zu ziehen. Dorthin, woher er stammte, dorthin, wo er zusammen mit Vater, Mutter und Schwestern, die er allesamt seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, ein kärgliches Leben gefristet hatte. Dorthin, wo es schon beschwerlich war, nur einen Fuß vor den anderen zu setzen, wo inmitten einer berauschend schönen Natur das Überleben selbst in friedlichen Zeiten so hart war, dass es den Einwohnern dieser Gegend ein hohes Maß an Demut, Bescheidenheit und körperlicher Kraft abverlangte. Dorthin, wo es selbst den ehrgeizigsten Kriegstreibern zu weit und zu anstrengend war, ihr Unwesen zu treiben.
Andreas Moosberger zog also mit seiner Frau, seinen mittlerweile vier Kindern und dem inzwischen uralten Mergel in die Alpen. Sie vergaßen jedoch nicht, Balthasar eine Nachricht an einen Holzbalken des Gramshuber-Hauses zu ritzen. Anna bestand darauf. Er sollte sie finden, falls er sie jemals suchen würde.
Es dauerte Wochen, bis sie, weit hinter Lenggries, die Anhöhe erreicht hatten, auf dem der Moosberger-Hof stand. Ein kleiner Hof, bewohnt von zwei ledigen Schwestern von Andreas. Der Empfang war verhalten, aber dennoch gutherzig. Nach einem gemeinsamen Besuch des Grabes der Eltern richtete man sich in dem bescheidenen Holzhaus ein. Die Arbeit war härter noch, als Anna es je erlebt hatte, aber der Krieg war fern, endlich fern.
Nach einiger Zeit gewöhnte Anna sich an, einmal wöchentlich den Berg noch ein gutes Stück weiter hinaufzugehen, bis zu einer winzigen, verlassenen Almhütte. Allein, ganz ohne Mann und Kinder. Dort legte sie dann einen Beutel mit Brot, etwas Käse und hin und wieder einem Ei ab, setzte sich kurz auf die morsche Holzbank und sang:
»Weiß mir ein Blümlein blaue, von himmelklarem Schein
Es steht in grüner Aue und heißt Vergissnichtmein
Ich kunnt es nimmer finden, war mir verschwunden gar;
Von Reif und kalten Winden ist es mir worden fahl.
Das Blümlein, das ich meine, ist braun, steht auf dem Ried.
Von Art ist es so kleine, es heißt: Nun hab mich lieb!
Das ist mir abgemäht wohl in dem Herzen mein.
Mein Lieb hat mich verschmäht. Wie mag ich fröhlich sein?«
Danach stand sie auf und ging, jedes Mal mit einem stummen Lächeln auf den Lippen, wieder zu ihrem Haus hinunter.
hosted by www.boox.to
Verlagsgruppe Random House
1. Auflage
Originalausgabe Juli 2009
Copyright © 2009
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagfoto: Collage: Detail aus: Verleugnung Petri,
Guercino zugeschrieben. Pinacoteca Nazionale, Bologna
© Alinari / Bridgemanart.com (BAL243047)
und © Bridgeart.com
Redaktion: Eva Wagner
BH · Herstellung: Str.
eISBN : 978-3-641-03222-7
www.goldmann-verlag.de
www.randomhouse.de
Weitere Kostenlose Bücher