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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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einer fatalistischen Gelas-senheit hin. Zwar gab es immer mal wieder solche Dorfbewohner, die aus Angst in die Wälder liefen, um sich dort zu verstecken, doch ihre Zahl wurde immer weniger. Und dies nicht nur, weil immer mehr dahinstarben oder ganz das Weite suchten, sondern weil immer mehr es vorzogen, in ihren heimischen Löchern zu verbleiben und mit Geduld zu ertragen, was eine erneute Invasion an Schrecken bringen würde.
    Auch Anna, Mergel und Balthasar blieben in ihrem Haus, von welchem sie mittlerweile nur noch den Stall bewohnten, weil der vordere Wohnteil inzwischen vollkommen ausgebrannt war und schließlich auch einzufallen drohte. Ein Dach hatte selbst der Stall nicht mehr, doch die Holzdecke des ehemaligen Heubodens spendete an einigen stellen noch genügend Schutz vor Regen und Sonne. Ob sie bis in den Winter hinein halten würde, war jedoch fraglich, doch so weit in die Zukunft dachte man nicht mehr.
    Anna raffte sich höchstens einmal in der Woche auf, um nach draußen zu gehen und nach Essbarem zu suchen. Suchen, das hieß betteln, stehlen oder etwas finden, was man unter normalen Umständen nicht gegessen hätte. Manche gaben sich sogar mit Hunden und Katzen zufrieden. Es war allein auf Pucks Überlebenskunst zurückzuführen, dass er noch nicht in Nachbars suppentopf gelandet war. Ja, der Hund, welcher den dreien noch immer treu zur Seite stand, brachte hin und wieder ein Kaninchen, ein Eichhörnchen oder eine Taube nach Hause.
    Die Kaiserlichen hatten ihren Durchmarsch Ende September noch nicht beendet, nach wie vor nisteten sie in den umliegenden Dörfern, und einige quartierten sich auch in Annas Ort ein. Dennoch beschloss Anna, müde und kraftlos wie sie war, sich aufzuraffen und nach Nahrung zu suchen. Sei es eine Handvoll Pilze, ein paar Kräuter, etwas Löwenzahn oder sonst etwas, was sie hätten zu sich nehmen können. Angst hatte sie keine mehr. Das Einzige, was sie davon abhielt, nach draußen zu gehen, war die sinnlosigkeit jeglicher Handlung. Doch wenn sie nicht bald etwas zwischen die Zähne bekämen, würden sie einschlafen und Hungers sterben, wie es schon manchen in der Nachbarschaft passiert war.
    Allein dem Jungen zuliebe verdrängte Anna den Reiz dieses Gedankens. Er war zu jung, um zu sterben, und für ihn lohnte es sich, sich einen Schub zu geben, aus dem Bretterverschlag hinauszuklettern und in die öde Welt zu gehen. Dort draußen verhöhnte mittlerweile nicht einmal mehr die Natur die Menschen durch die Unbeirrbarkeit ihres Jahresrhythmus. Kein Vogel zwitscherte, kein Baum trug Früchte, und auch die Tiere des Waldes waren allesamt Opfer des Krieges geworden, selbst die Wölfe, die noch bis vor kurzem Angst und Schrecken verbreitet hatten. Allein Wind und Wetter ließen nicht ab, ihr spiel zu treiben, und scherten sich nicht darum, ob auf Erden gerade Krieg oder Frieden herrschte.
    Anna machte sich also auf den Weg, ohne festes Ziel, nur mit dem Gedanken im Hinterkopf, irgendwo und irgendwie etwas zu essen aufzutreiben. So schlenderte sie lustlos an den leergefischten und von Wasservögeln freien See, schaute in die Fischerhütten, ging zurück zum Dorf, warf einen Blick in die verlassenen Ställe, ging weiter, nahm den Weg Richtung Herrsching, bog auf einen Waldpfad, fand ein wenig Löwenzahn, pflückte diesen, fand einige Hagebutten, pflückte auch diese, traf einen gerade aus dem Mittagschlaf erwachten jungen Dragoner, wurde von diesem freundlich gegrüßt, grüßte zurück und ging weiter. Hier und da ließ sich doch noch so einiges finden, so etwa ein paar Hagebutten, Brennnesseln und Löwenzahn sowie sieben schnecken – die einzigen Tiere, die es nicht schafften, vor Anna davonzulaufen.
    Anna wünschte sich gerade – und das war der erste Wunsch seit Wochen – ein wenig Butter zum Zubereiten der Weichtiere, als sie, wieder am Rande des Dorfes angekommen, ein entsetzliches gurgelndes Geräusch vernahm, welches aus einem der wenigen noch stehenden Kleinbauernhäuser kam.
    Dumpf und regungslos blieb Anna stehen und überlegte, was sich dort in dem kleinen Bauernhaus wohl abspielen mochte. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, niemand trieb sich auf der Dorfstraße herum, obwohl der Tag freundlich war und es auch seit vorgestern keine nennenswerten Überfälle mehr gegeben hatte. Es war nicht Hilfsbereitschaft, sondern pure Neugierde, die es schaffte, Annas Gleichgültigkeit zu durchbrechen und sie dazu zu treiben, sich an das Fenster des Hüttchens zu

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