Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
was geschah, war, dass der Schatten sich eines der Fischerboote suchte und sich daranmachte, auf ebendiesem Gefährt zu Anna zu gelangen. Glücklicherweise lief das erste schnell voll Wasser und zwang den Verfolger zurück zum Ufer.
Er brachte ein zweites Boot herbei und wollte es ins Wasser setzen. Anna machte sich verzweifelt auf den Weg, um weit genug vom Ufer fortzukommen. Doch das brauchte sie nicht. Denn als der Schatten gerade das Boot ins Wasser hievte, erhielt er einen schlag auf den Hinterkopf.
Da war er endlich. Wieder hatte er ihr geholfen. Erschöpft schwamm Anna zurück zum Ufer.
XXXIII
Keuchend und Wasser speiend kniete Anna am Ufer. Es brauchte einige Zeit, bis sie sich einigermaßen erholt hatte. Ihr Retter stand vor ihr und schaute ihr dabei zu, wie sie gegen Übelkeit und Überanstrengung ankämpfte.
Er sagte nichts, er wartete einfach. Hinter ihm, nur wenige Schritte von Anna entfernt, lag er, der Schatten. Der Mann, den Anna schon so lange suchte, der Mann, der auch Anna schon so lange gesucht hatte.
Immer noch röchelnd, mit einem unangenehmen Geschmack von Blut und schmutzigem Wasser im Hals, richtete sie sich auf und ging zu dem wie tot daliegenden Menschen, in dessen Gesicht sie nun endlich blicken wollte.
Als sie ihn im Schein des Halbmondes erkannte, nickte sie nur stumm. Er war es also. Seltsamerweise überraschte es sie nicht. Sie hätte es sich denken können.
»Danke, dass du mir geholfen hast. Sonst wäre ich sicherlich ertrunken. Kann nicht besonders gut schwimmen. Ist er tot?«
»Ist nicht tot. Wird bald wieder aufwachen. Wird die Frau dann umbringen wollen.«
»Ja.« Anna schaute den Besinnungslosen weiterhin an und überlegte, welche Beleidigung sie ihm entgegengebracht hatte, dass er sie derartig penetrant verfolgte. Was war es gewesen, das er nicht auf sich beruhen lassen konnte? Was hatte seine Ehre so sehr gekränkt, dass er sich dafür rächen musste? Wann – ja, wann hatte sie über ihn gelacht?
Sie war ihm immer aus dem Weg gegangen. Hatte seine Gegenwart tunlichst vermieden. Hatte es als unangenehm empfunden, mit ihm sprechen zu müssen. Niemals, nein wirklich niemals, hatte sie ihn ausgelacht.
Und dann fiel es ihr ein. sie hatte über ihn gelacht. Ein einziges Mal hatte sie es getan, nur ein Mal. Er war hinter ihr hergelaufen, hatte sie aufhalten wollen, als sie das Lager verließ, hatte mit ihr sprechen wollen und war dann in Pferdedung ausgerutscht.
Ja, damals hatte sie über Pastor Bracht gelacht. Sie hatte gelacht, weil es tatsächlich komisch aussah, was da passiert war, sie hatte auch gelacht, weil sie erleichtert war, dass sie so um ein Gespräch mit ihm herumgekommen war, und vielleicht hatte sie auch ein wenig aus Verlegenheit gelacht. Sie hatte gelacht, und er war aufgestanden und weggerannt. Es war ihm peinlich gewesen. Ja, schrecklich peinlich war es ihm gewesen.
Doch Anna hatte nicht wissen können, dass der Pastor Peinlichkeiten so streng ahndete, dass er so gnadenlos all diejenigen verfolgte, die ihn in seiner Würde antasteten, und dass er schlicht keinen Spaß verstand.
Und auch ihre Schwester Mine hatte also gelacht. Sie hatte gelacht, wenn Anna die Aussagen ihres Helfers richtig auslegte, weil sie den Pastor bei einem Geschäft erwischt hatte, bei dem ertappt zu werden ihm ebenfalls unangenehm war – trotz der großen Natürlichkeit des Vorgangs. Das war alles: Mine hatte sterben müssen, weil sie ihn beim Abtreten beobachtet hatte. So schlicht war die entsetzliche Wahrheit.
Und all die anderen Frauen, was hatten sie getan? Worüber hatten zum Beispiel die Prostituierten gelacht, die nahezu monatlich tot aufgefunden wurden? Worüber hatte die alte Frau gelacht, der Anna im Wald begegnet war und deren Leiche sie dann zusammen mit Liese fortschaffen wollte? Worüber hatte die Rosi gelacht und worüber die weiteren fünf Toten aus dem Dorf? sie alle mussten über Bracht gelacht haben. Aus nichtigen Gründen wahrscheinlich, aber ihm hatte es missfallen.
Anna wollte, dass er aufwachte, wollte ihn befragen, wollte wissen, warum er die Frauen so schrecklich strafte, weshalb er ihnen eine kleine Unhöflichkeit nicht einfach nachsah, sondern ihnen dafür das Leben nahm. Ja, sie so vehement verfolgte, wie er Anna verfolgt hatte.
»Wann wird er aufwachen?«
»Man muss Wasser über das Gesicht schütten.«
Auch dieser Mann blieb ihr weiterhin ein Rätsel. Was trieb ihn, in der Nähe des Mörders zu bleiben und sein Handlanger zu sein? Er war
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