Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Ihr nicht, wie Ihr wollt? Habt Ihr nicht, was man von Euch erwartet?«
»Halt’s Maul, du Hure!«, schrie Bracht wie von sinnen.
Anna lächelte. Sie war auf dem richtigen Weg. Bracht war au ßer sich und würde gleich alles herausschreien, alles verraten, was sie wissen wollte, das spürte sie. Pippin saß derweil auf einem Stein, den Kopf in die Hände gestützt, und döste vor sich hin. Es schien ihn nicht zu interessieren, was Anna da mit dem Mörder anstellte.
»Ich halte mein Maul nicht, damit Ihr es wisst. Und jetzt sagt mir, warum all die Frauen sterben mussten!«
»Weil sie dumm waren, dumm und widerwärtig. So wie alle Frauen dumm und widerwärtig sind. Gackernde, blöde Hühner, das seid ihr, das seid ihr alle. Ihr verdient es nicht, mein Mitleid. Ihr verdient es nicht. Und doch bin ich immer wieder, immer wieder so gut und schenke es euch. Gebe euch Hinweise, warne euch, aber ihr begreift nicht. Auch du, Anna Pippel, hast nie begriffen. Da musste erst dieser Schwachsinnige dort drüben kommen, um dich vor mir zu retten. Eine Missgeburt, eine hirnlose Missgeburt musste kommen, um dich zu beschützen. Da kann man sehen, wie dumm ihr seid, ihr Frauen.«
»Offenbar hat diese Missgeburt es auch geschafft, Euch, den gescheiten Pastor Bracht, davon abzuhalten, mich zu töten. Also redet nicht so klug daher.«
»Du hältst dich wohl für ganz besonders pfiffig? Nichts weißt du, gar nichts. Wüsstest du alles, dann würdest du nicht so blöde schwätzen.«
»Was weiß ich nicht? Erzählt es mir.«
»Du weißt nicht, was sie mir angetan haben. Nein, das weißt du nicht. Du weißt nicht, wie es ist, immer und immer wieder gedemütigt zu werden, ausgelacht. Von dummen Weibern, von Weibern, die dir nicht das Wasser reichen können. Die so dumm sind, dass du dich selbst für ihre Dummheit zu schämen beginnst. Und trotzdem musst du es dir gefallen lassen, immer und immer wieder. Musst ihre Fratzen anschauen, musst diese Fratzen sogar lieben, weil sie deiner Mutter und deiner Schwester gehören. Musst sie lieben, weil der Herrgott das von dir verlangt. Aber eigentlich hasst du sie, du hasst sie, ärger als die Pest. Du wünscht ihnen nichts mehr als einen qualvollen Tod. Und trotzdem musst du sie lieben. Du kämpfst gegen deinen Hass, du hasst dich selbst für diesen Hass. Du tust dir weh, um nicht zu hassen. Und sie tun dir weh, weil sie dumm sind. Sie sind dumm und deshalb grausam. Dumm und grausam.«
»Was haben Euch Eure Mutter und Eure Schwester angetan, Pastor Bracht?«
»Was sie mir angetan haben? Das geht dich nichts an. Es geht dich nichts an! Es reicht, wenn ich dir sage, dass sie mich gedemütigt haben, gedemütigt und ausgelacht. Ausgelacht, ganz gleich, was ich getan und gesagt habe. Immerzu haben sie nur gelacht.«
Bracht war nun vollkommen von Sinnen. Mit wildem Blick kreischte er seine Worte förmlich heraus. Anna war es fast unheimlich, aber dennoch bohrte sie weiter.
»Und Euer Vater, was hat der dazu gesagt?«
»Tot war er. Schon lange tot. Es gab nur die beiden und mich.«
»Und dann, was geschah dann mit Euch? Seid Ihr fort von daheim?«
»Ich war ein Kind. Wohin sollte ich? Ich kannte nichts anderes. Ich wusste nicht, ob es üblich war, solchen Torturen ausgesetzt zu sein. Ich ertrug es, aber mein Hass und mein Ekel, die wuchsen. Wuchsen und wuchsen. Mit nur zwölf Jahren begann ich zu trinken. Ging in Spelunken und besoff mich. Ja, ich stahl Geld aus dem Klingelbeutel in der Kirche und besoff mich. Und dann, eines Tages, da lernte ich in einer dieser Spelunken zwei Gauner kennen. Das waren ganz gemeine Strauchdiebe, und das bemerkte ich sofort.
Sie sprachen mit mir, horchten mich aus, wollten wissen, wo ich wohne. Ich sagte ihnen alles, erzählte ihnen, dass ich keinen Vater hätte, dass ich mit Mutter und Schwester allein lebte, dass unser Haus außerhalb des Ortes läge und wir immer sehr allein wären. Ich erzählte auch davon, wie geizig meine Mutter war, wie wenig Geld und Essen sie mir gab, ja, dass sie ihr ganzes Geld unter ihrem Kopfkissen aufbewahrte und sicherlich noch weitere Schätze im Hause versteckte, von denen ich nichts wüsste.
All das erzählte ich ihnen. Und sie dachten, ich erzählte es, weil ich ein dummer Junge war. Nein, das war ich nicht. Ich erzählte es, weil ich genau das erreichen wollte, was dann auch schließlich eintraf.«
Anna konnte sich denken, was dann geschah, dennoch fragte sie weiter: »Gingen die beiden zu Eurem Haus?«
»Das taten sie.
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