Des Teufels Werk
was er vergessen hatte. »Lily hat sonst nie darüber gesprochen«, bemerkte er, »aber einmal sagte sie, Madeleine beurteile den Wert einer Sache danach, wie hoch sie von einem anderen geschätzt wird.«
Das konnte ich mir gut vorstellen. »Und bekommt Nathaniel heute noch Bewunderung pur von ihr«, fragte ich neugierig, »oder hat er seinen Glanz verloren, als die Verkäufe stagnierten?«
»Passe.«
Ich lachte. »Ich nehme das als Ja. Ich wette, er bereut seine Entscheidung längst. Hat Lily ihn gemocht?«
»Sie hat ihn nie richtig kennen gelernt. Madeleine kam immer allein zu Besuch.«
»Aber Sie haben doch bestimmt eine Ahnung.«
»Nein wieso? Lily war sehr diskret, was ihre Familie anging. Darum kam sie wahrscheinlich auch mit Jess so gut aus. Ich glaube nicht, dass Jess ihr Madeleines Verhalten zum Vorwurf machte, aber ich glaube auch nicht, dass sie je darüber gesprochen haben.«
»Aber Jess ist eigens nach Barton House gekommen, um sich die Pulsadern aufzuschneiden«, sagte ich, »was immerhin nahe legt, dass sie Lily wissen lassen wollte, wie schlecht es ihr ging.«
Peter sah plötzlich gar nicht mehr gutgelaunt aus. »Von wem haben Sie denn das?«
»Von Madeleine.«
Er sah zornig aus. »Ich würde Ihnen raten, in Zukunft alles, was Sie von ihr hören, mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Sie schreibt die Geschichte nach eigenem Gutdünken um.« Er holte einmal tief Luft. »Ich hoffe, Sie haben das nicht weitererzählt.«
»Natürlich nicht. Wem sollte ich es erzählen?«
»Jess?«
»Nein.«
Er wirkte erleichtert. »Wenn Madeleine diese Geschichte von ihrer Mutter gehört hat, muss sie Lily falsch verstanden haben.« Eine seltsam ausweichende Bemerkung, fand ich.
»Es stimmt also nicht?«
Er konnte sich nicht zu einem klaren Nein durchringen und wich erneut aus. »Es ist völlig absurd. Kein Mensch will bei so etwas Publikum haben.«
Doch, wenn er Aufmerksamkeit erregen will, dachte ich. Es gab immer schon jede Menge Fanatiker, die für ihre Überzeugung vor aller Augen Hand an sich gelegt haben. Und immer haben sie damit ungeheure Schockwellen ausgelöst. Vielleicht hatte Jess etwas in dieser Art beabsichtigt, ich zweifelte jedenfalls nicht daran, dass die Selbstmordgeschichte wahr war. Auch wenn die Narben an ihren Handgelenken nicht gewesen wären, hätte mich Peters offensichtliches Unbehagen angesichts meiner Fragen davon überzeugt.
Ich pflichtete ihm mit ein paar nichtssagenden Worten bei, während ich mich fragte, ob er glaubte, ich wäre die Einzige, der Madeleine die Geschichte erzählt hatte. Ich hatte den Eindruck, dass nicht Lily, sondern er das Geheimnis preisgegeben hatte und dass ihm deshalb so unwohl war. Seine Frage, ob ich die Geschichte Jess weitererzählt hätte, fand ich besonders seltsam. Glaubte er im Ernst, sie hätte nicht gewusst, dass sie Madeleine bekannt war? Oder hatte er Angst, das Thema Selbstmord könnte sie dazu treiben, es noch einmal zu versuchen? Ich dachte daran, wie beiläufig sie mein Interesse an ihren Handgelenken kommentiert hatte und wie wenig ihr daran gelegen hatte, Beschuldigungen zurückzuweisen, sie greife Fremde mit dem Messer an.
»Sie leben in einem Wolkenkuckucksheim, wenn Sie glauben, Jess wüsste nicht, dass das Geheimnis keines mehr ist«, sagte ich abrupt.
»Ich
habe keinen Ton davon gesagt,
sie
hat es angesprochen. Sie sprach von den Narben an ihren Handgelenken, sagte, dass Madeleine immer ihr Gift verspritzen müsse, und sie schon lange nicht mehr versucht, die Leute davon zu überzeugen, dass sie nicht die Absicht habe, mit dem Messer auf sie loszugehen.« Ich schwieg einen Moment. »Madeleine hat ihre Version wahrscheinlich ausgeschmückt, um Jess in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, aber dass sie über die Sache klatschen würde, war doch klar. Die beiden haben nichts füreinander übrig.«
»Was hat sie Ihnen noch erzählt?«
»Wer? Jess oder Madeleine?«
»Madeleine.«
»Dass Jess aus einer armen Familie komme … dass ihre Großmutter nach Australien ausgewandert sei, um von ihrem Sohn wegzukommen … dass Jess lesbisch sei.« Ich sah, wie wieder Zorn seine Züge verfinsterte. »Sie hat außerdem behauptet, Jess sei ein Stalker – sie mache Drohanrufe und sei sehr rachsüchtig, wenn sie zurückgewiesen wird. Ach, und Sie findet es unerhört, dass Sie mich nicht vor Jess gewarnt haben.« Ich lächelte dünn. »Hätten Sie es tun sollen?«
»Nein.«
»Ist sie wirklich so rachsüchtig? Madeleine hat
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