Des Teufels Werk
freundlich. »Ich sagte, wenn sie an der Kunstakademie geblieben wäre, hätte sie ihre Zeit verschwendet. Entweder hätte sie sich angepasst und alles Individuelle verloren – oder sie hätte ständig mit ihren Lehrern Krieg geführt und gegen alle Widerstände ihr eigenes Ding durchgezogen. Mit ein bisschen Glück zeigt sie Ihnen eines Tages vielleicht ihre Bilder. Soviel ich weiß hat sie seit dem Unfall keinen Pinsel mehr angerührt, aber was sie vorher gemacht hat, war exzeptionell.«
»Hat sie auch verkauft?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie hat es nie versucht. Die Sachen stehen alle in ihrem Atelier hinten im Haus. Ich glaube sowieso nicht, dass sie Geld für sie nehmen würde. Sie gehört zu denen, die überzeugt sind, dass es nicht gut tut, für Geld zu malen – und ist der Ansicht, dass jeder Maler, der sich an den Wünschen des Käufers orientiert, ein mittelmäßiger Auftragsmaler ist.«
»Was für Bilder hat sie gemalt? Ich meine, was für Sujets?«
»Landschaften. Seestücke. Sie hat einen sehr eigenen Stil – eher impressionistisch als gegenständlich. Sie erzeugt die Bewegung des Himmels und des Wasser mit einem Minimum an Farbe und kräftigem, großzügigem Pinselstrich. Bei ihren Lehrern kam das nicht besonders gut an, das ist der Grund, warum ihr jede andere Meinung gestohlen bleiben kann. Sie erklärten ihr, ihre Bilder seien nach rückwärts gewandt, sie orientiere sich an Turner statt sich die Prinzipien der Konzeptkunst zu Eigen zu machen, bei der die Ausarbeitung einer Idee wichtiger ist als die konkrete Umsetzung. Sie mochten Künstler wie Madeleines Mann.«
Meine Fassungslosigkeit war so offenkundig, dass Peter lachte. »Die Sachen, die er früher gemacht hat, waren weit interessanter als die Bilder, die in Lilys Haus hängen. Er hat das Irrationale ins Gedankliche umgesetzt … das war etwas ganz anderes als die abstrakten Gemälde, die er heute produziert.«
Ich bemühte mich, ein intelligentes Gesicht zu machen. »Jess hat mir erzählt, dass Sie eines seiner frühen Bilder besitzen. Darf ich es einmal sehen?«
Ich spürte ein kleines Zögern. »Warum nicht?«, sagte er dann. »Es hängt in meinem Arbeitszimmer – zweite Tür rechts. Sie brauchen nicht lange zu suchen, es ist das einzige Gemälde, das da hängt.«
Das Bild war ein Gewimmel feinster Details ähnlich wie die Bilder von Hieronymus Bosch und zeigte eine ähnliche alptraumhafte Vision einer aus den Fugen geratenen Welt. Lebende Häuser streckten massige Wurzeln aus, knorrige Schlingpflanzen stießen durch Mauerwerk. Das Gemälde hatte einen leuchtenden Glanz, als wäre die Farbe akribisch Schicht um Schicht aufgetragen worden, um ihn zu erzielen, und der Stil hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den weniger aufwändigen Arbeiten in Barton House. Im Kern war es ein Strudel des Wahnsinns. Keines der Häuser stand gerade, alle wogten sie schwankend nach sämtlichen Richtungen, wie von einem Wirbelsturm erfasst. Hunderte winziger Menschlein, in keinem Maßstab zu den Häusern, bevölkerten die Räume hinter den Fenstern, und jedes Gesicht war ein genaues Abbild des Gesichts auf Edvard Munchs Gemälde
Der Schrei.
Draußen stöberten gleichermaßen winzige Tiere in einer laubähnlichen Masse herum, alle von gleicher Größe ohne Rücksicht auf die Spezies, alle mit den bleichen, nach unten spitz zulaufenden Menschengesichtern aus dem Munch-Gemälde.
Ich war bereit zu akzeptieren, dass es ins Gedankliche umgesetzte Irrationalität war (was auch immer das heißen mochte – mir klang es wie ein Oxymoron), aber ich hatte keine Ahnung, ob hier ein bestimmter Aspekt des Irrationalen dargestellt war oder das Irrationale an sich. Warum lebende Häuser? Warum so viele in ihnen eingesperrte Menschen? Warum Tiere mit menschlichen Gesichtern? Sollte das die Angst des Menschen vor der Natur sein? Oder sollte es, Hieronymus Bosch näher, eine Vision der Hölle sein? Ich hatte das unbehagliche Gefühl, dass Jess sagen würde, meine Meinung sei subjektiv und daher irrelevant. Es spiele keine Rolle, wie bestürzend und kraftvoll ich die Vision finde, der Sinn gehöre dem Maler.
Peter stand vor dem Wasserkessel, als ich in die Küche zurückkehrte. »Ich hoffe, Sie mögen Ihren Kaffee schwarz«, sagte er, während er zwei Henkelbecher einschenkte. »Mir ist nämlich leider die Milch ausgegangen.«
»Kein Problem. Danke.« Ich nahm den Becher, den er mir anbot, und schaffte es mit einigem Lavieren zu vermeiden, dass meine Finger die
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