Des Teufels Werk
kennen und lieben, uns wahrnehmen, nicht der flüchtige Bekannte, dem wir nie wieder begegnen werden. Die meisten von uns leben in einer sehr kleinen Welt.«
Was für ein Irrtum, dachte ich. »Bis das eigene Leben auf den Seiten einer Zeitung auseinander genommen wird.«
»Haben Sie
da
vor Angst?«
Ich antwortete ihm nicht gleich. Seine Fragen erinnerten mich an Chas und Dan in Bagdad –
»Aber Sie wirken gequält, Connie« – »Sprich mit mir«
–, und ich begriff, warum mein Vater in Zorn geriet, wenn wohlmeinende Leute ihn mit gutgemeinten Fragen drangsalierten. Die Neugier birgt so viel Arroganz. Sie gibt vor, dass nichts den Zuhörer überraschen kann, doch wie hätte Peter reagiert, wenn ich den Schrei losgelassen hätte, der seit Wochen in meinem Kopf rumorte? Wie hätte Dan reagiert?
Ich kauerte mich auf meinem Stuhl zusammen. »Mir gehen dauernd all die Sprichwörter im Kopf herum, die mit Vergeltung zu tun haben. Ihr werdet ernten, was ihr gesät habt … Wer das Schwert erhebt, wird durch das Schwert umkommen … Auge um Auge … Ich wache mitten in der Nacht auf, und in meinem Kopf rast es. Ich komme einfach nicht davon los.«
»Warum?«
»Weil ich meine Karriere darauf aufgebaut habe, die Not anderer auszubeuten. Ständig muss ich an die Frau in Sierra Leone denken, die mit angesehen hatte, wie ihre ganze Familie von Rebellen abgeschlachtet wurde. Als sie mir begegnete, war sie vor Erschütterung halb wahnsinnig, aber ich habe keinen Moment gezögert, aus ihrem Schicksal eine Story zu machen.« Ich hielt inne. »Es wird nur die gerechte Strafe sein, wenn mir das Gleiche passiert.«
»Da kann ich Ihnen nicht zustimmen.«
»Sollten Sie aber. Am Ende bekommt jeder das, was er verdient. Das wird Ihnen genauso ergehen, Peter. Wir bekommen alles mit gleicher Münze heimgezahlt.«
»Und Ihre ist?«
»Tod und Verderben. Das Elend anderer. Ich bin Kriegsberichterstatterin, Herrgott noch mal!« Ich drückte mir mit den Fingern auf die Augen. »Aber im Grund spielt das kaum eine Rolle. Es wäre immer das Gleiche, ob das nun mein Ressort wäre oder etwas anderes. Storys über ›gute Nachrichten‹ ziehen nicht. Wer zum Teufel interessiert sich schon für das Glück anderer? Die Leser werden höchstens neidisch, wenn sie erfahren, dass es anderen besser geht als ihnen. Heute rot, morgen tot – das ist es, was der Durchschnittsbürger will. Wenn
er
es nicht schafft, warum sollen es dann die anderen schaffen?«
»Das ist sehr zynisch.«
»Ich
bin
nun mal zynisch. Ich habe zu viele Unschuldige umsonst sterben sehen. Jeder dreckige kleine Diktator weiß, dass man ein Land am schnellsten in seine Gewalt bringt, indem man Hass und Angst vor einem Popanz schürt – und wie sollte er das erreichen, ohne die Presse einzuspannen? Journalisten sind genauso käuflich wie jeder andere.«
Er sah mich einen Moment lang aufmerksam an. »Sie kennen natürlich Ihr Gewerbe besser als ich«, sagte er bedächtig, »aber mir scheint doch, dass Sie die Frage, wie man Sie behandeln wird, äußerst pessimistisch sehen.«
Seine Selbstgefälligkeit reizte mich. »Das täten Sie genauso, wenn eine Ihrer alten Damen stürbe und deren Angehörige behaupteten, Sie wären schuld an ihrem Tod. Nehmen Sie mal an, Madeleine würde Sie beschuldigen, Lily falsch behandelt zu haben? Dann würde man
Sie
in der Boulevardpresse auseinander nehmen – Scheidung, Affären und weiß der Himmel was –, um zu zeigen, dass Sie mit Ihren Gedanken nicht bei der Arbeit waren.«
Aber er wollte nicht glauben, dass ich auf diese Weise öffentlich zur Schau gestellt werden würde, und setzte mir geduldig auseinander, dass die Presse noch so übel sein könne – er gebrauchte das Wort Sensationsmache –, die Opfer würden in den britischen Zeitungen immer geschützt. Wenn das geheime Liebesleben von Politikern und Promis breitgetreten würden, dann weil sie sich selbst zum Freiwild gemacht hätten. Sie wollten Publicity, um ihre Karriere voranzutreiben, und protestierten nur, wenn ihnen die Art der Publicity nicht passte.
»Aber sie gehören nicht in diese Kategorie, Connie. Das einzige Mal, als Sie den Presserummel hätten ausnützen können, haben Sie das bewusst vermieden. Warum sollten Ihre Kollegen die Geschichte jetzt noch einmal ausschlachten wollen?«
Mir war schon klar, was er da versuchte – er wollte der Logik meiner Idee, mich den Rest meines Lebens unter falschem Namen zu verstecken, den paranoiden Boden entziehen –, aber
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