Des Teufels Werk
einer Suchmaschine übers Internet hätte herausbekommen können, wer ich bin, ich solle mich also lieber den Kameras stellen, anstatt mich von einem Teleobjektiv überraschen zu lassen. Und zum guten Schluss stürmen noch die Leute von den Nachrichtensendern die Party und erzwingen eine Pressekonferenz.«
Er wartete einen Moment, bevor er sagte: »Ist das alles? Oder kommt es noch schlimmer?«
»MacKenzie kommt ungeschoren davon, und ich werde als kranke Fantastin abgestempelt. Man hat mich ja bereits beschuldigt, die Entführung nur vorgetäuscht zu haben.« Die Arme fest um meinen Oberkörper geschlungen, beugte ich mich vor. »Er hat keine Male hinterlassen, daher kann ich nicht beweisen, dass es geschehen ist – und jetzt ist alles ein bisschen verwischt. Wenn man nichts sehen kann, scheint das Gehirn die Ereignisse nicht so klar aufzuzeichnen.« Ich sah ihn an. »Auf dieser Grundlage kann ich unmöglich aussagen. Jeder halbwegs ordentliche Anwalt würde mich in Fetzen reißen.«
Peter nahm aus einem Hefter, der vor ihm auf dem Tisch lag, ein paar zusammengeheftete Blätter. Er hatte sie zusammen mit zwei Nachschlagewerken mitgebracht, als er nach der Morgensprechstunde wieder gekommen war. Ich fürchtete schon, er wolle eine Akte über mich anlegen, aber er sagte, es handle sich nur um einige Recherchen, die er unternommen habe. »Ich bin ein gemeiner Feld-, Wald- und Wiesenmediziner, Connie. Ich habe durch Jess ein wenig Erfahrung mit der posttraumatischen Belastungsstörung, aber ich muss mich mit der einschlägigen Literatur befassen, wenn ich Ihnen wirklich helfen soll.«
Es mag seltsam sein, aber ich fand das beruhigend. Ich habe eigentlich immer mehr Vertrauen zu Leuten, die sich zu den Grenzen ihres Wissens bekennen. Irgendwie strafte dies auch Jess' hartnäckige Behauptung Lügen, Peters Allheilmittel sei die Chemie. Genau genommen empfand ich Jess und Dan als diejenigen mit den größeren Scheuklappen. Dan beharrte auf seiner Überzeugung, dass ein paar Wochen teilnahmsvoller Therapie Wunder wirkten, während Jess mehr für die Rosskur war, die gebot, seinen Ängsten ins Auge zu schauen und ihre Nachwirkungen mit Hilfe einer Papiertüte zu bewältigen. Vielleicht liegt es in der menschlichen Natur, dass man immer meint, das, was bei einem selbst geholfen hat, müsse auch allen anderen helfen.
Peter schob mir das dünne Bündel Blätter zu. »Haben Sie schon mal vom sogenannten Istanbul-Protokoll gehört? Es ist eine Sammlung internationaler Richtlinien zur Untersuchung und Dokumentation von Folter. Es dient als Grundlage für die Auswertung und gerichtliche Verwendung von Beweismaterial. Das ist eine Kopie, die ich aus dem Internet habe.«
»Ich habe nie gesagt, ich sei gefoltert worden.«
»Ich finde trotzdem, Sie sollten das Schriftstück lesen. Vielleicht hilft es, Sie davon zu überzeugen, dass man Sie ernst nehmen wird. Unter anderem enthält es eine umfassende Liste der psychologischen Folgen von Misshandlung und Gewalterfahrungen. Ich habe einige der häufigsten Reaktionen auf der ersten Seite notiert – Sie haben in der letzten Viertelstunde eine ganze Anzahl von ihnen gezeigt. Die Panikattacken, unter denen Sie leiden, sind allerdings die deutlichsten Indizien dafür, dass Ihnen etwas ganz Fürchterliches zugestoßen ist.«
Ich rutschte auf meinem Stuhl nach vorn, um zu lesen, was er aufgeschrieben hatte. ›
Wiedererleben. Alpträume. Schlaflosigkeit. Distanziertheit. Sozialer Rückzug. Platzangst. Meiden von Menschen und Orten. Angstzustände. Misstrauen. Reizbarkeit. Schuldgefühle. Appetitlosigkeit. Unfähigkeit, sich wichtiger Aspekte des Traumas zu erinnern. Todesgedanken
.‹
»Jess zeigt auch eine ganze Anzahl dieser Reaktionen«, sagte ich, »obwohl sie nicht behauptet, misshandelt worden zu sein.«
»Na und? Das Trauma des Verlusts ihrer ganzen Familie war erheblich.«
»Dann kann jedes Trauma ähnliche Symptome hervorrufen. Das beweist nicht, dass meine Version der Ereignisse stimmt. Vielleicht bin ich leichter zu ängstigen als die meisten und schon drei Tage mit verbundenen Augen haben zu Panikattacken geführt.«
»Wieso sind Sie so überzeugt davon, dass man Ihnen nicht glauben wird?«
»Weil ich damals nicht darüber gesprochen habe.«
»Das macht doch nichts. Es muss fast immer eine gewisse Zeit vergehen, bevor Opfer darüber sprechen können, was ihnen angetan wurde. Manche Stellen in diesem Dokument werden für Sie vielleicht schwer zu lesen sein –
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