Menschen zu erniedrigen. Ich bin froh festzustellen, dass dieser Versuch in Ihrem Fall gescheitert ist, obwohl Sie (hoffentlich nur vorübergehend) das Gegenteil glauben.
Ich habe übrigens MacKenzies Daten und Foto an die Londoner Polizei weitergeleitet und um erhöhte Wachsamkeit in der Umgebung der Wohnung Ihrer Eltern und des Büros Ihres Vaters gebeten. Ich veranlasse Entsprechendes auch gern bei der für Sie zuständigen Polizeidienststelle, wenn Sie mir verraten, wo Sie sich aufhalten. Ich habe MacKenzies Beschreibung mit dem Zusatz ›äußerst gefährlich und möglicherweise bewaffnet‹ versehen lassen und bitte Sie, das zu bedenken, bevor Sie Ihren ›Alleingang‹ fortführen. Ich kann gut verstehen, dass Sie sich sicherer fühlen, wenn niemand Ihre Adresse weiß, sollte aber MacKenzie Sie tatsächlich finden, werden Sie sehr allein und angreifbar sein.
Wie immer Ihr, Alan
Inspector Alan Collins, Kriminalpolizei Manchester
Von:
[email protected] Abgesandt: So, 15/08/04, 02.09
An:
[email protected] Thema: Korrespondenz mit Inspector Alan Collins
Anhänge: Alan.doc (356KB)
Lieber Dad,
es tut mir wirklich Leid, dass ich dir und Mam so viel Ärger mache, und ich nehme dir deine Griesgrämigkeit überhaupt nicht übel. Ich sitze hier seit Stunden und ringe um eine Erklärung für euch, aber ich schaffe es nicht. Es ist jetzt zwei Uhr morgens, und ich bin völlig kaputt, darum hänge ich einfach einige Artikel an, die ich geschrieben habe, sowie meine Korrespondenz mit einem Inspector der Polizei Manchester namens Alan Collins. Ich glaube, zusätzliche Erklärungen sind da nicht nötig. Übrigens: Alans Schlussfolgerungen in seiner letzten EMail (von gestern) treffen genau ins Schwarze. Er ist offensichtlich ein hervorragender Polizist.
Alles Liebe, C
P. S. Ich brauche KEIN Mitleid, bitte kommt mir also nicht damit. Ich rede nie wieder über diese Geschichte, wenn ihr jetzt zu jammern anfangt. Bitte versteht mich nicht falsch, aber es ist nun mal passiert und lässt sich nicht mehr ändern.
13
Wenn ich es mir rückblickend überlege, habe ich, denke ich, vor allem geschwiegen, weil ich wusste, wie schwer es mir fallen würde, Hilfe anzunehmen. Vielleicht bin ich irgendwie seltsam geartet, aber ich wollte mir nicht dreinreden lassen – Ratschläge oder Hilfsangebote waren nur verkleidete Besserwisserei –, und ich hatte mit Wut zu kämpfen wie nie zuvor. Aber sie richtete sich nie gegen den, dem sie hätte gelten müssen – MacKenzie.
Ich war immer noch von der Angst besessen, er würde mich aufsuchen. Doch am meisten gingen mir Alan, Peter und mein Vater gegen den Strich, die mich in der folgenden Woche auf unterschiedliche Art drängten, mich der Herausforderung zu stellen. Der Einzige, der es so direkt sagte, war mein Vater, aber als ich ihm vorwarf, er wolle nur durch mich seine eigenen bösen Geister austreiben, zog er sich verletzt vom Schlachtfeld zurück. Was mich nur wütender machte, weil mir auf diese Weise der schwarze Peter zugewiesen wurde.
Meine Mutter bemühte sich, die Kluft zu überwinden, indem sie mir liebevolle Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterließ. Alan schickte logisch durchdachte E-Mails. Und Peter schleppte haufenweise Fachliteratur an, bis ich schließlich sämtliche Türen verrammelte und auf Läuten nicht mehr öffnete. Am Ende der Woche war ich so erledigt, dass ich daran dachte, meine Sachen zu packen und wieder zu verschwinden. Auf eine groteske Art waren ihre Großzügigkeit und Fürsorge quälender als MacKenzies Sadismus. Ich hatte brutale Gewalt überlebt, aber ich wusste nicht, wie ich so viel Freundlichkeit überstehen sollte.
Jess kam in den ersten Tagen noch vorbei und stand herum, ohne viel zu sagen. Sie blieb jedoch weg, als ich auf die Türglocke nicht mehr reagierte. Ich hinterließ ihr eine telefonische Nachricht, dass meine Abwehr nicht ihr, sondern Peter gelte, aber sie meldete sich nicht, besuchte mich auch nicht. Das war einer der Gründe, warum ich an Aufbruch dachte. Ich sah wenig Sinn darin zu bleiben, wenn der einzige Mensch, in dessen Gesellschaft ich mich wohl fühlte, das Interesse verloren hatte. Auch wenn ich mir das selbst zuzuschreiben hatte.
Sie erschreckte mich zu Tode, als sie am folgenden Samstag plötzlich in meinem Schlafzimmer stand. Es war sieben Uhr abends und jede Außentür meines Wissens abgeschlossen. Ich hatte weder die grüne Tür gehört noch ihre Schritte auf der Treppe, hatte nicht den geringsten