Des Teufels Werk
gewollt, dass jemand etwas merkt. Ich meine, tatsächlich werfen Sie ihr doch vor, sie hätte ihre Mutter ermorden wollen.«
»Das ist ihr durchaus zuzutrauen.«
Ich bezweifelte das, sagte es aber nicht. »Angenommen, Peter wäre zufällig hier gewesen – oder
Sie?
Angenommen, jemand hätte Madeleine durchs Dorf fahren sehen?«
»Es kommt doch nur darauf an,
wann
sie hier war. Um Mitternacht könnte ein ganzes Artillerieregiment durch Winterborne Barton reiten, und keiner von dieser Bande« – sie machte eine ruckartige Kopfbewegung in Richtung zum Dorf – »würde etwas davon merken. Wenn sie nicht taub sind, schnarchen sie wahrscheinlich so laut, dass es alles andere übertönt.« Sie verschränkte die Arme auf dem Tisch und beugte sich vor. »Es ist der einzige Zeitraum, in dem Madeleine so etwas hätte tun können, ohne gleich aufzufliegen. Hier herein bin immer nur ich gekommen. Alle anderen gingen in den Salon. Sogar Peter.«
Ich wusste bereits aus Erfahrung, dass es sich nicht lohnte, zweimal dieselbe Frage zu stellen, weil Jess keine Antwort gab, wenn sie es nicht wollte. Aber in diesem besonderen Fall konnte man ihr damit beikommen, dass man auf Lilys Schwächen herumritt, dann fühlte sie sich meistens berufen, die alte Frau zu verteidigen. »Das erklärt allerdings noch nicht, warum Lily nicht selbst etwas unternommen hat. Peter sagt doch, sie sei noch fit genug gewesen, um hier weiter allein leben zu können, warum hat sie nicht einfach in die Gelben Seiten geschaut und sich einen Wartungsdienst gesucht? Ein Wildfremder hätte sie bestimmt nicht ins Heim einweisen lassen.«
Jess starrte auf die Tischplatte. »Sie war viel schlechter beisammen, als Peter dachte. Solange sie sauber und ordentlich aussah, ihm die Tür aufmachen konnte und ihm ein paar witzige Geschichtchen erzählte, ohne sich allzu oft zu wiederholen, war er überzeugt, sie käme allein zurecht. Sie hatte das gesellschaftliche Getue ziemlich gut drauf – alles andere vergaß sie –, aber das nicht.«
»Haben Sie dafür gesorgt, dass sie sauber und ordentlich aussah?«
Ihr dunkler Blick blieb einen Moment auf mich geheftet. »Ich hatte nicht vor, es für immer und ewig zu tun, aber solange sie noch –« Sie machte eine kleine resignative Geste. »Sie hatte Angst davor, in ein Heim zu kommen – ich musste ihr versprechen, das so lange wie möglich zu verhindern.«
»Schwierig.«
»Ja, aber manches war auch gut. Als Lilys geistige Kräfte nachließen, habe ich mehr über meine Familie erfahren als je zuvor.« Ihre Augen leuchteten plötzlich auf. »In Wirklichkeit hat sie sie beneidet. Jahrelang hatte ich mir diesen Mist anhören müssen, was für Gesindel wir wären – primitiv und ohne einen Funken Verstand. Und dann kam sie auf einmal damit, dass es nicht fair sei, wenn Missgeburten mit erblicher Syphilis so viel Land besitzen.«
Ich lächelte. »Was hat sie gesagt, um Sie so zornig zu machen?«
»Nichts.«
»Aber ja, doch. Sonst hätten Sie sie nicht einfach im Stich gelassen. Dazu sind Sie viel zu gutherzig.«
Einen Moment lang glaubte ich, sie würde reinen Tisch machen, aber irgendetwas ließ sie anderen Sinnes werden. Wahrscheinlich meine Bemerkung über ihre Gutherzigkeit. »Sie hat mich zu viel Zeit gekostet, das ist alles. Ich dachte, wenn ich sie eine Weile sich selbst überließe, würde Peter schon merken, wie schlimm es ist und für eine ordentliche Betreuung sorgen.« Sie lachte tonlos. »Von wegen. Er hat sich darauf verlassen, dass ich ihm Bescheid sagen würde, wenn es bergab geht – und dann hat er sich für einen Monat nach Kanada abgesetzt.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Das können Sie ihm nicht übel nehmen. Erst helfen Sie Lily ihren wahren Zustand verbergen, dann wollen Sie, dass alles ans Licht kommt. Sie hätten Peter wenigstens sagen können, dass sie sie nicht mehr besuchten. Er kann schließlich keine Gedanken lesen. Woher sollte er wissen, dass Lily ihr Sicherheitsnetz los war? Woher hätte
irgendjemand
das wissen sollen?«
Ein Ausdruck des Trotzes verschloss ihr Gesicht. »Sie sind in einer ähnlichen Situation. Soll ich ein Rundschreiben versenden, wenn ich Sie nicht mehr besuchen komme? Wen geht das denn etwas an außer uns beide?«
»Ich bin nicht krank. Ich kann um Hilfe bitten, wenn ich welche brauche.«
»Das konnte Lily auch. Sie war nicht völlig blöd.«
»Warum hat sie es dann nicht getan?«
»Sie hat es ja getan«, entgegnete Jess eigensinnig. »Sie ist ins Dorf
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