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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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paar Stundenkilometer unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. In Miami ist das so, als trüge man ein »TRITT MICH« -Schild auf dem Rücken. Natürlich trat mich niemand wirklich. Dafür hätten sie ja bremsen müssen. Aber ich wurde sieben Mal angehupt, acht Mal abgedrängt, und fünf Autos preschten einfach um mich herum, entweder auf dem Bürgersteig oder durch den Gegenverkehr.
    Aber heute konnte mich nicht einmal der energetische Elan der anderen Fahrer aufheitern. Ich war todmüde und ratlos, und ich musste nachdenken, jenseits des Getöses der Arena und des geistlosen Gesabbels von LaGuerta. Langsam zu fahren verschaffte mir Zeit zum Grübeln, die Bedeutung dessen, was geschehen war, zu überdenken. Und ich stellte fest, dass eine dumme Bemerkung in meinem Kopf herumspukte, wo sie den Kalk und die Gerinnsel aus meinem erschöpften Gehirn sprengte. Sie machte sich selbstständig. Und ohne jeden Sinn wurde sie zu einer Art verführerischem Mantra. Sie wurde zum Schlüssel des Nachdenkens über den Killer, über den Kopf, der auf die Straße gerollt war, den Rückspiegel, der unter den wunderbar trockenen Leichenteilen verborgen lag.
    Wenn ich es gewesen wäre …
    Wie in »Wenn ich es gewesen wäre, was hätte ich mit dem Spiegel ausdrücken wollen?« und die Frage: »Wenn ich es gewesen wäre, was hätte ich mit dem Transporter gemacht?«
    Selbstverständlich war ich es nicht, und diese Art von Neid ist nicht gut für die Seele, aber da ich meines Wissens keine hatte, war auch das egal. Wenn ich es gewesen wäre, hätte ich den Transporter in ein Versteck unweit der Arena gefahren. Und dann hätte ich mich sehr schnell aus dem Staub gemacht – in einem nicht registrierten Wagen? Einem gestohlenen? Das hing davon ab. Wenn ich es gewesen wäre, hätte ich von vornherein geplant, die Leichenteile in der Arena zu arrangieren. Oder wäre das eine Reaktion auf die Jagd über den Causeway gewesen?
    Aber das ergab keinen Sinn. Er konnte sich nicht darauf verlassen, dass ihn jemand nach North Bay Village verfolgte – oder? Aber warum hatte er den Kopf dann wurfbereit neben sich liegen? Und warum dann den Rest in die Arena bringen? Es schien eine seltsame Wahl. Ja, es gab dort eine Menge Eis, und die Kälte war auch nicht schlecht. Aber die weite, klirrende Fläche war meiner Art intimer Begegnung wirklich nicht angemessen – wenn ich es gewesen wäre. Dort herrschte eine schreckliche Weite, die wirklicher Kreativität absolut nicht förderlich war. Ein Besuch war lustig, aber das Atelier eines Künstlers war es nicht. Ein Ablade-, aber kein Arbeitsplatz. Sie hatte einfach nicht die richtige Atmosphäre.
    Vorausgesetzt, ich wäre es gewesen. Die Arena bedeutete einen kühnen Vorstoß in unerforschtes Gelände. Die Polizei würde der Schlag treffen und er würde sie vermutlich in die Irre führen. Falls sie jemals herausfanden, dass es eine Spur gab, der sie folgen konnten, was äußerst unwahrscheinlich schien.
    Und dem Ganzen mit dem Spiegel die Krone aufzusetzen – wenn ich Recht hatte mit meinen Motiven für die Auswahl der Arena, dann würde der Spiegel dies selbstverständlich reflektieren. Er wäre ein Kommentar zu dem, was eben passiert war, zu dem Zurücklassen des Kopfes. Er wäre eine Aussage, in der alle Fäden zusammenliefen, säuberlich verpackt wie die aufgestapelten Leichenteile, der elegante Federstrich unter ein großes Werk. Wie lautete denn nun die Aussage, wenn ich es gewesen wäre? Ich sehe dich.
    Genau. Selbstverständlich, obwohl es ziemlich offensichtlich war. Ich sehe dich. Ich weiß, dass du hinter mir her bist, und ich beobachte dich. Aber ich bin dir auch weit voraus, kontrolliere deinen Kurs, lege deine Geschwindigkeit fest und beobachte, wie du mir folgst. Ich sehe dich. Ich weiß, wer du bist und wo du bist und alles, was du von mir weißt, ist, dass ich dich beobachte. Ich sehe dich.
    Das fühlte sich richtig an. Warum ging es mir dann nicht besser? Wie viel davon sollte ich außerdem der armen lieben Deborah erzählen? Das Ganze wurde so intensiv persönlich, dass es ein steter Kampf war, sich daran zu erinnern, dass es auch eine öffentliche Seite gab, eine Seite, die für meine Schwester und ihre Karriere wichtig war.
    Ich konnte ihr nicht – und ebenso wenig jemand anderem – von meiner Überzeugung erzählen, dass der Killer versuchte, mir etwas zu vermitteln, wenn ich gewitzt genug war, es zu hören und zu reagieren. Aber der Rest – gab es etwas, das ich ihr erzählen

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