Des Todes Liebste Beute
Mein Vater neigt dazu … bestimmte Dinge von mir fern zu halten.«
»Dazu neigen alle Eltern. Aus irgendeinem Grund wollen wir nicht, dass unsere Kinder sich Sorgen machen.«
Kristen zuckte die Achseln. Sie wusste es besser. »Kann sein.« Sie nahm die Kanne und zwei Tassen und gesellte sich zu ihm an den Tisch. »Und dann hat Abe die Polizei in Kansas angerufen.«
»Und? Hat es etwas genützt?«
»Nein. Natürlich hat niemand etwas gesehen, und Kameras gibt es in dem Pflegeheim nicht.«
»Und der Brief und die Rose?«
»Abe hat versucht zu erreichen, dass sie sie zu uns schicken, aber sie haben höflich abgelehnt. Sie würden es in ihr eigenes Labor in Topeka schicken.«
»Wenn das Conti war, finden sie sowieso nichts«, sagte Kyle.
»Ja, ich weiß.«
Er schob seine Hand in die Tasche und fischte ein Kartenspiel heraus. »Ich bleibe hier, wenn Sie schlafen wollen. Aber falls Sie das nicht können …« Er wedelte mit den Karten.
Kristen wusste, dass sie kein Auge zumachen würde, bis Abe zurückgekehrt war. »Ich kann kaum Kartenspiele«, sagte sie. »Mein Vater hat das nicht erlaubt. Aber ich muss sowieso noch arbeiten.«
»Irgendwas, wobei ich Ihnen helfen kann?«
»Kennen Sie sich mit Datenbanken aus?«
Er verzog das Gesicht. »In etwa so gut wie Sie mit Kartenspielen.«
Kristen lächelte. »Dann leisten Sie mir vielleicht einfach Gesellschaft?«
Er legte eine Patience aus. »Das kann ich machen.«
Dienstag, 24. Februar, 0.05 Uhr
Rote Lichter drehten sich und erzeugten einen Stroboskop-Effekt, als sie sich auf nicht weniger als fünf Streifenwagen, sechs nicht gekennzeichneten Autos, dem Kleinbus der Spurensicherung und zwei Krankenwagen spiegelten.
Mia hockte neben einem der Männer am Boden. Als sie Abe sah, stand sie auf und winkte ihn näher heran.
»Tut mir Leid, dass ich so spät komme«, sagte er. »Ich musste erst jemanden finden, der bei Kristen bleibt.«
»Schon okay. Das ist Rafe Muñoz«, sagte sie und zeigte auf einen großen Mann, der in einem noch nicht zugezogenen Leichensack auf einer Bahre lag. »Er ist Bodyguard. Oder war es. Das« – sie deutete auf eine Bahre, die soeben in den Krankenwagen gehievt wurde – »ist William Carson.«
Abe schnitt eine Grimasse. Er kannte den Namen. Vor Jahren – damals war er noch in Uniform gewesen – hatte er einmal das zweifelhafte Vergnügen gehabt, von Carson ins Kreuzverhör genommen zu werden. »Noch ein Verteidiger. Wie stehen seine Chancen?«
»Fünfzig-fünfzig. Vielleicht schafft er es, vielleicht nicht. Er war noch ein paar Minuten bei Bewusstsein, nachdem der erste Streifenwagen eingetroffen war. Er hat uns Muñoz’ Namen sagen können, bevor er ohnmächtig wurde. Muñoz hat eine Kugel im Kopf. Wahrscheinlich ist er niedergeschossen worden, als er neben Carson kniete. Aber Carson …« Selbst im Dunkeln konnte Abe Mias Augen aufleuchten sehen. »Die erste Kugel hat ihn bloß gestreift. Hier.« Sie tippte sich an den Oberkopf. »Der zweite Schuss ging direkt in die Brust. Wir haben aber keine Austrittswunde.«
Abes Puls beschleunigte sich. »Die Kugel steckt noch in ihm.«
»Mit ein bisschen Glück haben wir noch vor Tagesanbruch eine Markierung, die wir Diana Givens zeigen können.«
»Woher kam die Kugel?«
Mia wandte sich um und zeigte auf ein vierstöckiges Gebäude auf der anderen Straßenseite. »Er hat dort oben auf Carson gewartet. Komm, wir sehen es uns mal an.«
Bewaffnet mit einer starken Taschenlampe stiegen sie die Feuerleiter hinauf und überquerten das Dach, bis sie die Stelle erreichten, an der der Scharfschütze vermutlich auf der Lauer gelegen hatte.
Mia pfiff leise. »Machen mir meine Augen etwas vor? Kann es wirklich sein, dass ich sehe, was ich zu sehen glaube?«
Abe musterte den Becher mit dem Plastikdeckel, während sein Herz ein paar freudige Hüpfer tat. Dennoch fühlte er sich bemüßigt, ihre Hoffnungen zu dämpfen. »Vielleicht ist das gar nicht seiner.«
Mia bückte sich, schnupperte daran und legte ihre in Latex gehüllten Finger an die Becherwand. »Kaffee. Und noch lauwarm.« Sie grinste zu ihm hoch. »Jack wird entzückt sein.«
Dienstag, 24. Februar, 0.30 Uhr
Er saß am Küchentisch. Seine Hände zitterten noch immer heftig. Er hatte sein Ziel verfehlt.
Er hatte sein Ziel verfehlt.
Dann war er in Panik geraten und hatte einen Unschuldigen ermordet.
Nun ja, beruhigte er sich, der Mann war vermutlich nicht vollkommen unschuldig, da er mit einer Person wie Carson zu tun
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